Sonntag, 18. August 2019

"Winterbienen" von Norbert Scheuer




"Meine lieben Bienen schwärmen im Winterhimmel, 
wehen wie schwarze Schneeflocken im Wind."


Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Norbert Scheuer führt uns ins Jahr 1944. Egidius Arimond ist Imker und bringt in eigens dafür umkonstruierten Bienenkästen Juden von Kall aus an die belgische Grenze und damit in Sicherheit. Von einer Organisation erhält er die Aufträge und Informationen dazu in Büchern versteckt in der dörflichen Leihbibliothek. Das Geld, das Egidius für die Transporte bekommt, benötigt er für den Kauf von Antiepileptika, um seine Anfälle in Schach zu halten. Egidius ist Epileptiker und auf die Medikamente angewiesen.

Früher hat er als Geschichts- und Lateinlehrer unterrichtet hat und auch heute noch interessiert er sich für lateinische Schriften und übersetzt Texte seines Vorfahren Ambrosius Arimond. Letzterer war leidenschaftlicher Bienenzüchter und hat seine Begeisterung in der Familie weitergetragen. Einzig Alfons, Egidius' Bruder, geht ganz andere Wege und wird Bomberpilot. Früher hat Alfons Kampfflugzeuge gemalt und die Bilder hängen noch heute in Egidius' Haus. So erklären sich die Zeichnungen von Norbert Scheuers Sohn Erasmus in diesem Buch und zudem passen sie sehr gut zu Egidius' Tagebuchnotizen, da Egidius nicht nur den Bienenflug, sondern auch den Flug der Bomber über Kall genauestens beobachtet.

... ein Zitat

"Der Lärm der Angriffe scheint den Bienen nichts auszumachen; sie leben in einer anderen, wie es scheint, friedlichen Welt, sie interessiert der Krieg nicht. Von ihren Sammelflügen kehren sie mit weißem Blütenstaub von Disteln, Lilien, Sonnenhut und Kamille bepudert aus den umliegenden Wiesen und Gärten zurück. Sie sammeln so emsig, als wüssten sie, dass ihnen ein sehr kalter Winter bevorsteht."

... was mich bewegt hat

Meine Faszination gilt vor allem Egidius, seiner Beobachtungsgabe und auch immer wieder seinem nach innen gerichtetem Blick. Ich muss ihn einfach mögen, diesen stillen Mann mit seiner Liebe zu Bienen, Büchern und zum Schreiben. 

... die Sprache

Die Sprache ist zunächst die eines Tagebuchschreibers. Egidius ist daran gelegen, sein Tun und seine Begegnungen und die dabei gehegten Gefühle festzuhalten. Er geht dabei vor allem auf in Naturbeschreibungen und das Vokabular ist reich an Tönen, Farben, Bewegungen, Stimmungen. Es wird Stille ausgedrückt. Und gar, wenn der Krieg Grausames schickt, bleibt Norbert Scheuers Sprache leise und unaufgeregt.

...ein Fazit

Der Leser erfährt, wie eingespielt es im Bienenstock zugeht, wie ausgeklügelt und friedlich die Gemeinschaft gelebt wird. Diesem Einblick in die Bienenwelt wird im Buch viel Raum gegeben und es ist Egidius, der in Betrachtung und Beschreibung aufgeht und dabei Ruhe findet. 
Im Herbst aber kommt es im Bienenstock zur Drohnenschlacht, die Drohnen werden dabei von den Arbeiterinnen angegriffen und verstoßen. 
Es liegt nahe, diese Vertreibung in der ethnischen Säuberung durch die Nationalsozialisten gespiegelt zu sehen. Als ich mich frage, ob mir solche Vergleiche überhaupt behagen, lese ich nochmal Ambrosius Worte über "Gleiches und Ungleiches". 
Alles kann also nebeneinander betrachtet und in Bezug gesetzt werden. Literatur als Spiel der unendlichen Möglichkeiten.
Ich empfehle die Lektüre dieses Buches. Norbert Scheuer hat mal wieder den kleinen beschaulichen Ort Kall aus der Provinz herausgeschrieben. 
Ganz groß: die Schönheit der Natur und ein Imker, der ein sympathischer Eigenbrötler ist, aber doch vielen anderen Menschen ähnlich: Er möchte einfach in etwas aufgehen und in Frieden lieben dürfen. Der Ausdruck, er hätte "Frauengeschichten", trifft es übrigens nicht. Dafür ist mir Egidius zu naiv und anhänglich.


Dienstag, 4. Juni 2019


"Kafkas letzter Prozess" von Benjamin Balint




"Wem gehört Kafka?"

Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Am Obersten Gerichtshof in Israel fand 2016 ein jahrelanger Rechtsstreit ein Ende. Mit im Gerichtssaal saß der Journalist und Autor Benjamin Balint und verfolgte gespannt den zu verhandelnden Erb- und Nachlassstreit. Es ging um ein sehr wertvolles literarisches Erbe, nämlich um Originalhandschriften von Franz Kafka. Über damals Max Brod waren sie an seine Vertraute Ester Hoffe gelangt und diese wiederum vererbte sie an ihre Tochter Eva Hoffe. Gültig wird so ein Erbe aber erst, wenn das Nachlassgericht seine Gültigkeit anerkennt. Das Verfahren zog sich über Jahre und gelangte an die internationale Öffentlichkeit, als die Frage aufkam, ob hier über jüdisches oder deutsches Kulturgut verhandelt wird. Inzwischen war nämlich die Israelische Nationalbibliothek aufmerksam geworden und erhob Anspruch auf diese Schriften. 
Da Ester Hoffe bereits einige Schriften von Kafka für hohe Summen (siehe Zitat) veräußert hatte, befürchtete man, es könnte auch im Fall Eva Hoffes ein eher finanzielles Interesse an den Schriften Kafkas bestehen. Der Oberste Gerichtshof entschied am 7. August 2016, der rechtmäßige Aufbewahrungsort für Kafkas Nachlass sei die Israelische Nationalbibliothek in Jerusalem. Das Deutsche Literaturarchiv Marbach war auch gehört worden, doch die nationalen Besitzansprüche Israels setzten sich letztendlich durch. 
Trotzdem stellt die Frage, ob Kafka nicht doch mehr deutsch als jüdisch gewesen ist. Kafka hatte eine deutsche Universität besucht, deutsches Recht studiert und seine Werke in deutscher Sprache verfasst ...

... ein Zitat

"Zu Brods Lebzeiten hatte Ester Hoffe nie versucht, ein Kafka-Manuskript zu verkaufen. Doch nach seinem Tod änderte sie den Kurs ...
Am 17. November 1988, zwanzig Jahre nach Max Brods Tod, brachte Ester Hoffe die 316 Seiten starke Originalhandschrift von Kafkas "Der Prozess" aus dem Jahr 1914 im Auktionshaus Sotheby's im Londoner Stadtteil Mayfair zur Versteigerung ...
... hob Tenschert seine grün-weiße Karte und brachte den Kauf für das Literaturarchiv Marbach für eine Million Sterling (etwa 3,5 Millionen Mark) unter Dach und Fach.

... was mich bewegt hat

Die enorme öffentliche Beachtung, die Franz Kafkas Nachlass letztendlich geschenkt wurde. 

... die Sprache

Sprachlich so verfasst, dass man das Buch sehr gut lesen kann, ohne zu ermüden. Natürlich sind die Urteile auch im Original zitiert, aber es bleibt dennoch leicht verständlich. Journalistisch und erzählerisch zugleich sehr gelungen.

... ein Fazit

Sehr interessantes und spannendes Buch. Gut recherchiert und dokumentiert. Besonders gut gefielen mir so einige Wort- und Sinnspielereien. Zum Beispiel, dass Eva Hoffe wie der Mann "in Kafkas Türhüterparabel ... verstört vor der Tür des Gesetzes" gelandet war. 
Oder: "Ein refrainartig wiederkehrendes Motiv bei Kafka ist das Gesetz", so schreibt Benjamin Balint. 
Wie passend, denke ich, nach all diesen Prozessen ...

Benjamin Balint am 9. Mai 2019 in Köln


"Goldregenrausch" von Claudia Schreiber



"Mittendrin ein Goldregen, wie er im Buche stand."

Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Marie wird als fünftes Kind in eine Bauernfamilie hineingeboren. Im Wochenbett muss ihre Mutter sich lange schonen und Mutter und Tochter sind sich sehr nahe. Als die Mutter aber wieder einsatzfähig ist, rufen Haus und Hof und Marie verbringt etliche Stunden in einem Laufstall im Garten der Tante Greta. Keiner kümmert sich, Maria muss gar den Regen ertragen, aber als sie krank wird, nimmt sich Greta ihrer an. Fast schon symbiotisch werden die beiden zu einer liebevollen Gemeinschaft. In das rührende Miteinander schlägt ein schreckliches Drama und obendrein wird Greta anschließend ihr Haus und das grüne Paradies verlassen müssen.
"Nie wieder würde die Welt so sein wie zuvor."

Marie meldet sich mit einer gefälschten Unterschrift ihrer Mutter am Gymnasium an und macht ihren Weg. Stets aber ist sie auch für Greta da, die nach den Vorfällen nicht mehr ohne Hilfe sein kann,

... was mich bewegt hat

Sehr schwer zu ertragen ist, was Marie und Greta aushalten müssen. Aber bewegend, wie sie zusammenwachsen und sich gegenseitig gut tun.

... ein Zitat

"Womöglich klopfte er Tag für Tag an die Tür, um Marie glücklich zu machen, aber die Mutter ließ ihn nicht rein, weil sie nicht aufgeräumt hatte. Erst wenn es sauber sei, könne Gott eintreten, meinte sie. Da konnte sie lange auf Gott warten, die Mutter räumte nie auf. Dabei hätte Marie Gott gerne mal angeschaut, wenn es ihn gäbe. Männer mit Bärten fand sie schön."

... die Sprache

Klar und nüchtern, aber sie wird ganz weich, wenn Gefühle und die Natur zur Sprache kommen.

... ein Fazit

Wie schon "Emmas Glück" hat auch dieses Buch etwas Gnadenloses. Claudia Schreiber versteht es aber, in vermeintliche Ausweglosigkeit Hoffnung zu pflanzen.
Gut gefallen hat mir die Natur als "ewige Trösterin". Und der Goldregen als kleiner Helfer in der Not.

Samstag, 16. März 2019


"Pippilothek ??? 
Eine Bibliothek wirkt Wunder"
von Lorenz Pauli und Kathrin Schärer



"... und du bringst mir dafür das Lesen bei."


Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Eine Maus, die lesen kann und ein hungriger Fuchs, der es auf sie abgesehen hat. Als sie ihm erklärt, an welch besonderem Ort sie sind und welche Möglichkeiten dieser birgt, hört er gut zu. Nur leider kann er das Buch, das die Maus ihm ausleiht, nicht lesen. Das Huhn, das er in seinem Fang mit in die Bibliothek bringt, liest ihm dann aber vor und wird deshalb von ihm wertgeschätzt und nicht gefressen. (Buch-)Freunde halten zusammen ...

... ein Zitat

"In der nächsten Nacht kommt der Fuchs wieder.
"Ich will das Buch von gestern mitnehmen. Und dich, Maus, auch. Damit du mir die Geschichte immer wieder vorlesen kannst. Ich ... ich kann nämlich nicht lesen."
Die Maus schüttelt den Kopf."

... was mich bewegt hat

Die Illustrationen von Kathrin Schärer! Sie sind wunderschön.
                                 
... die Sprache

Einfache Sätze, kurz gefasst. Dadurch rücken die schönen Bilder in den Vordergrund.

... ein Fazit

Wunderbar, um Kindern den Zauber und Nutzen von Bibliotheken zu vermitteln.

"Land sehen" von Husch Josten



"Man kann niemanden zu einer freien Entscheidung drängen."

Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Nach dreißig Jahren Auslandsaufenthalt meldet sich Horas Patenonkel Georg zurück. Hora, der ihn früher geliebt und geschätzt hat, freut sich sehr und langsam nähern sich die beiden wieder an. Georg ist inzwischen Mönch, eine Tatsache, die Hora zunächst sehr befremdet, kannte er seinen Onkel doch nur als heiteren Lebemann. Die Frage, welchen Weg Georg gegangen ist und warum, zieht sich durch das ganze Buch und wird nur nach und nach beantwortet. Es steht der Glaube im Mittelpunkt, aber nicht einzig und losgelöst, sondern er hängt mit einer gemeinsamen Familiengeschichte zusammen und berührt die Themen Schuld und Schweigen. Erst in der Wahr- und der Klarheit kam Georg zur Ruhe und genau diese Werte versucht er auch Hora zu vermitteln. Zwei erwachsene Männer, die ihre Grundpositionen klären und auf Fragen Antworten finden.

... ein Zitat

"Es war ungewöhlich heiß für die Jahreszeit. Ich lag bei offenem Fenster im Bett und las; nachts nehme ich gerne Klassiker zur Hand, die mir das Gefühl von Schwerelosigkeit und Urzeitlichkeit vermitteln, als wäre das Leben, alles, das Jetzt, das Vorher, das Nachher, in der Nacht verankert, die Summe aller Bücher. Ich las also ... und da klingelte mein Telefon... wenn man Unerwartetes erwartet, kommt es nicht mehr unerwartet. Doch mit der Stimme meines Onkels hatte ich wahrlich nicht gerechnet und sie sehr lange nicht gehört."

... was mich bewegt hat

Sehr bewegend ist, was man über Georgs Bruder erfährt ...


Und wie die Autorin Horas Mutter beschreibt und klar wird, dass deren Wesenszüge, Wichtiges zu verschweigen und nur "in Maßen zu lieben" auch auf Hora abgefärbt haben. Er bringt nichts zur Sprache, nimmt sich ständig zurück und verzweifelt an verpassten Möglichkeiten.

... die Sprache

Nicht nur die Geschichte, auch die Sprache hat mich sofort gefesselt: sie ist ganz dicht und ausdrucksstark. 

... ein Fazit

Wenn das Buch auch in einer Art Predigt endet, möchte ich es trotzdem empfehlen. Mir gefällt die Nachdenklichkeit und Husch Josten erzählt fesselnd und schön und am liebsten würde man Hora und Georg persönlich kennen lernen.



Sonntag, 10. März 2019

"Cyrano von Bergerac" von Edmond Rostand



"Auf seinen Lippen küsst sie meine Worte."


Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Frankreich im 17. Jahrhundert: der Titelheld Cyrano von Bergerac, ein französischer streitbarer Degenkämpfer und begnadeter Poet, leidet unter seiner zu groß geratenen Nase. Heimlich ist er in seine Kusine Roxanne verliebt, die aber den schönen Christian von Neuvillette für sich erwählt hat, nicht wissend, dass dieser, da selber einfallslos und ungeschickt, seine Liebesbriefe von Cyrano schreiben lässt.
Cyrano und Christian ziehen in den Krieg, in dem Christian zu Tode kommt. Um Roxane das Andenken an an den Liebeshelden zu erhalten, schweigt Cyrano bis kurz vor seinem Tod ...

... ein Zitat

"Weil ich mit ansah, was euch Freunde gelten,
Und wie ihr sie verhöhnt mit einem Lachen,
Das falsch und fratzenhaft sich selbst verneint!
Man soll mich herzlich grüßen, aber selten;
Drum ruf ich froh: Gottlob, ein neuer Feind!"

... was mich bewegt hat

Welch liebreizende Worte der Haudegen Cyrano wählen und wie empfindsam er sein kann! Zu Beginn des Buches schätzt man ihn ganz anders ein.

... die Sprache

Zu diesem Punkt gibt es zwei Aspekte: zum einen haben wir die sprachlich sehr schönen Verse des Autoren, zum anderen muss zur Sprache auch gesagt werden, dass dieser Text in Dramenform, das heißt mit verteilten Rollen, recht mühsam zu lesen ist.

... ein Fazit

So einige bekannte und erfolgreiche Werke der Weltliteratur sind als Bühnenfassung geschrieben worden. Möchte man sie kennen lernen (falls man sie nicht schon in der Schule gelesen hat), gelingt das durchaus ... mit ein wenig Anstrengung.

Den Edelmann und Poeten Cyrano von Bergerac hat es im 17. Jahrhundert tatsächlich gegeben. Edmond Rostand erweckte "den echten Cyrano zu neuem Leben" und feierte 1897 mit seinem Versdrama (eigentlich "Verskomödie", da auch viel Humor darin steckt) großen Erfolg.

Cyrano de Bergerac 1619-1655


Samstag, 9. März 2019


"Die letzten Kinder von Schewenborn" 
von Gudrun Pausewang




"Am nächsten Morgen fiel ein 
schwarzer Regen."

Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Der zwölfjährige Roland fährt mit seinen Eltern und Schwestern nach Schewenborn in Osthessen, um dort die Großeltern zu besuchen. Gegenseitige Kriegserklärungen von Ost und West hatte bislang niemand ernst genommen, doch es kommt tatsächlich zum Worst Case und die Familie wird unterwegs von einem Atombombenabwurf überrascht. 
Viele Menschen sind sofort tot, andere irren als "aschige, blutige Gestalten" umher. Die Verwüstung ist groß, es gibt kein fließendes Wasser mehr und keinen Strom und in den Haushalten gehen bald die Lebensmittel zur Neige. Verseuchte Felder, Strahlenkrankheit, Typhus, Hungertod. Roland überlebt, aber er verliert einen Großteil seiner Familie. 
Am Ende des Buches kämmt er sich und es bleiben auffällig viele Haare im Kamm hängen ... ...

... ein Zitat

"Sie wollte nichts mehr essen, nur noch trinken. Aber das Schlucken machte ihr von Tag zu Tag mehr Mühe. Einmal rutschte ihr Kopftuch ab. Ich schrie auf, als ich sie so sah: Sie hatte kein Haar mehr. Aber im selben Augenblick bereute ich meinen Schrei, denn ich merkte, wie sehr ich sie durch mein Entsetzen verletzt hatte. Ihr Körper verfärbte sich, wurde fleckig, dann starb sie - ganz leise, ohne Klage. Sie machte sich einfach davon."

... was mich bewegt hat

Das Buch bewegt von der ersten bis zur letzten Seite. Besonders nahe rückt man den Ereignissen durch die Ichperspektive des zwölfjährigen Roland.

... die Sprache

Sprachlich einfach (Altersempfehlung 12-15 Jahre), aber auch für mich als Erwachsene ansprechend.

... ein Fazit

Erstausgabe dieses Buches erfolgte 1983. Aber die Geschichte, die erzählt wird, hat nichts an Aktualität eingebüßt. Das Wettrüsten "mit immer schärferen Drohungen von beiden Seiten" ist immer wieder Thema ...

Gerade hat Gudrun Pausewang ihren 91. Geburtstag gefeiert. Diesen nahm ich zum Anlass, ihr Buch aus dem Regal zu ziehen und zu lesen.
Beklemmend. Eindringlich.
Lesen!
Vielfach ist dieses Buch Schullektüre gewesen, was ich für eine gute Idee halte. Die Jugendlichen sollten bei diesem Thema nicht alleine gelassen werden, da die Autorin die jungen Leuten ungeschönt mit allen furchtbaren Folgen eines Atombombenabwurfs konfrontiert. Gudrun Pausewang möchte aufklären und aufrütteln und das macht sie mit Nachdruck.




"Der Wörterdieb" von Uta Swora




"Noch während sie im Rausch der Wörter schwelgte ..."

Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

In einer kleinen Stadt geht ein mysteriöses Phänomen um. Nach und nach verlieren die Bewohner Teile ihres Wortschatzes. Die elfjährige Florina findet heraus, was vor sich geht, und nimmt den Kampf gegen den Wörterdieb auf (aus dem Klappentext).

... ein Zitat

"Bäcker Lampe versteht sich mit allen Kindern des Dorfes gut, aber besonders freut es ihn, wenn Florina kommt. Florina hat nicht viele Freunde und wird von ihren Klassenkameraden manchmal als ein wenig schrullig bezeichnet. Eigentlich ist sie ein sehr sympathisches Mädchen, das weder besonders schüchtern noch besonders gesellig ist, aber sie hat einen kleinen Tick, was Sprache angeht. Es gibt Tage, an denen das nicht weiter auffällt, dann spricht sie völlig normal wie jeder andere auch. An anderen Tagen jedoch kann es ein, dass sie aus heiterem Himmel nur noch rückwärts spricht."

... was mich bewegt hat

Florinas Liebe zu Wörtern hat mir sehr gut gefallen.
Niedlich sind die kleinen Wortfiguren und ich war erstaunt, dass meine Fantasie so gut mitgespielt hat.

... die Sprache

Es ist die Sprache eines Kinderbuchs, wobei die Altersempfehlung schwer einzuschätzen ist. Sprachlich halte ich es aber für gelungen. Kinder können gut folgen und Erwachsene haben auch ihre Freude daran ... zum Beispiel an der Art und Weise, wie Madame Violetta sich ausdrückt.

... ein Fazit

Uta Swora (wie ich wohnhaft in Dormagen) hat mich sehr beeindruckt. Sie wollte nicht nur gerne ein Buch schreiben, sondern sie hat es auch getan und für mein Empfinden ein faszinierendes Thema gewählt. Sie selber nennt ihr Debüt 
"... eine Liebeserklärung an die Sprache."

https://www.dormago.de/dormagen-nachrichten.php?user_id=24661_%DCberzeugende+Buch-Premiere+von+Uta+Swora

Montag, 18. Februar 2019


"Mit der Faust in die Welt schlagen" 
von Lukas Rietzschel



"Um ihn herum fiel alles zusammen, 
versank und verreckte."


Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Dieses Buch ist nicht autobiographisch und doch ist Lukas Rietzschel in dieser Geschichte mehr als zu Hause. Wie auch Philipp und Tobias, Geschwister in Sachsen, wuchs der Autor in dieser Gegend auf.
Den Ort Neschwitz gibt es nicht, aber er steht für viele ähnliche Orte in diesem Teil Deutschlands. Wirtschaftlich geht es bergab, der Ort zählt zum Kern des sorbischen Siedlungsgebietes und das Miteinander von Deutschen und Sorben gestaltet sich schwierig. Die beiden Jungen werden mit einem Vater groß, der gegen die Sorben wettert und macht die Kinder von Angang an vertraut mit fremdenfeindlichem Vokabular. Als Gesamtdeutschland sich mit der Flüchtlingsproblematik auseinandersetzen muss, reagiert die Jugend in Neschwitz besonders aggressiv. Unter ihnen Philipp und auch Tobias, ohne Perspektive und familiärem Halt, denn die Eltern trennen sich im Laufe der Geschichte. Die Jungen haben sich einer neonazistischen Jugendgruppe angeschlossen, finden hier Bestätigung und vermeintlich Freundschaft. Am Ende ist es Tobias, der beginnt, dem Anführer Menzel zu misstrauen. Aber ist es nicht schon zu spät?
Philipp und Tobias wissen sich zu schätzen, aber das geschwisterliche Konkurrenzdenken ist von Anfang an sehr groß. Dabei hätten sich die beiden so sehr gebraucht ...

... ein Zitat

"Wann immer er eines dieser Gesichter sah, wollte er ihnen entgegenrufen: Was habt ihr denn gemacht? Für Sachsen? Für Neschwitz? Für Mutter? Für mich? Der Mann auf der Bühne fragte das Gleiche. Die Grundschule war erst geschlossen und dann zusammengelegt worden mit einer anderen im Umkreis. Jetzt mussten die Kinder ewig mit dem Bus durch die Gegend fahren. Keine Sparkasse mehr, kein Bäcker, keine Apotheke, kein Arzt."

... was mich bewegt hat

Am meisten hat mich das Ende bewegt, als Tobias so sehr hofft, Philipp möge sich bei ihm melden ...

... die Sprache

Leicht zu lesen, simpler Satzbau. Man hat das Gefühl, die Sätze werden manchmal einfach so rausgehauen. Und doch sind sie überlegt und sitzen. 

... ein Fazit

Das Buch hat ein bisschen in mir aufgeräumt. Ich bin schnell im Verurteilen, aber hier konnte ich erfahren, dass nicht jeder Krawallgänger und Gewalttätiger unreflektiert um sich schlägt. So mancher möchte gerne abgehalten werden von dem, was er da gerade tut, aber wo sind seine  Alternativen und wo sind die Menschen, die ihm Halt geben und Auswege aufzeigen könnten? Auch Eltern sind leider oft überfordert und mit eigenen Problemen beschäftigt.

Dienstag, 29. Januar 2019


"Sumchi" von Amos Oz


"Es war Hochsommer in Jerusalem ..."

Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Sumchi ist elf Jahre alt und lebt mit seinen Eltern in Jerusalem. Die Geschichte spielt 1947, ein Jahr vor der Gründung des Staates Israel und da Amos Oz sagt, es sei eine "wahre Geschichte", vermute ich, dass sie autobiographische Züge hat.
Sumchi träumt von den Bergketten des Himalaja (er möchte unbedingt mal dort hin) und von Esthi, einer Mitschülerin. Beides scheint ihm fern und unerreichbar, doch es kommt der Tag, an dem ihm sein Onkel ein Fahrrad schenkt und er Esthi ganz viel anvertraut ...
Nach diesem turbulenten Tag muss Sumchi wieder mal feststellen, dass nichts bleibt, wie es ist. Und als der Sommer zu Ende geht, ist auch Sumchi nicht mehr derselbe, gewachsen an dem, was er erlebt hat.

... ein Zitat

"Ausgeschlossen, dass man im Zimmer eines Mädchens den Schädel einer Katze findet, auch keine leeren Bierdosen, Schraubenzieher oder Nägel, auch nicht die Federn und Rädchen und Zeiger von zerlegten Uhren und keine alten Taschenmesser. Und auf gar keinen Fall hängen an den Wänden Abbildungen brennender Kriegsschiffe. Im Gegenteil. In Esthis Zimmer herrschte eine Art farbiges Licht: rötlich braun und warm ... Du bist im Zimmer eines Mädchens, dachte ich, du bist bei Esthi, dachte ich, und du sitzt da und sagst kein Wort, weil du einfach ein großer dummer Klotz bist, Sumchi."

... was mich bewegt hat

Sumchis Erfahrung, dass seine Eltern letztendlich doch hinter ihm stehen.

... die Sprache

Der Deutsche Taschenbuchverlag gibt für dieses Jugendbuch die Alterszielgruppe 10-12 Jahre vor. Sprachlich aber doch so komplex, dass auch Erwachsene es gut lesen können.

... ein Fazit

Der junge Sumchi und seine Gedankenwelt haben mich gefesselt. Eine wunderbare Lektüre, die ich jedem empfehlen möchte.

Amos Oz starb  am 28. Dezember 2018 in Tel Aviv, Mirjam Pressler, seine deutsche Übersetzerin, keine drei Wochen später am 16. Januar 2019 in Landshut.
Den beiden zu Gedenken habe ich jetzt dieses wunderbare Buch gelesen.



"Vor der Tagesschau, an einem späten Sonntagnachmittag"
 von Erwin Koch


"... und wieder schien mir, 
dass nichts so unwahrscheinlich ist wie die Wirklichkeit."

Es bleiben in Erinnerung ...

... die Stories

Wir haben es hier mit Stories zu tun, die einem zweifelsohne in Erinnerung bleiben werden.
Zum besseren Verständnis vorab ein paar Zeilen zum Autor:
Erwin Koch ist ein Schweizer Journalist und Schriftsteller und lebt in Luzern. Er schrieb unter anderem für Die Zeit, Geo und das Frankfurter Allgemeine Zeitung Magazin. Von 1999 bis 2002 als Reporter beim Spiegel beschäftigt, danach freischaffend.
So erklärt sich sein Interesse für politische und gesellschaftliche Vorgänge und aus diesem heraus wurde dieses Buch geboren.
Es beinhaltet zwölf Geschichten, die von Alabama bis Brünn reichen und allesamt von der Schicksalshaftigkeit des Lebens erzählen. Erwin Koch beschränkt sich nicht auf eine sachliche Berichterstattung, sondern er sucht den Menschen dahinter. Zunächst lässt sein präziser minutiöser Stil Distanz vermuten, aber dem ist nicht so. Er geht ganz nah dran, möchte alle Gefühle ausloten: Beweggründe, Ansichten, Ängste.

Ein zum Tode Verurteilter vermacht seinen Körper der Wissenschaft, ein Folterer redet sich mit Gehorsam raus, ein hochgeachteter Mann unterschlägt Millionen Franken für einen guten Zweck, Mevlüde Genc erzählt von dem Anschlag auf ihre Familie in Solingen, der Gemeinderat des Schweizer Dorfes Brittnau überrascht mit einem Beschluss gegen die Aufnahme von Asylanten, ein Schafe reißender Wolf im Baselgebiet wird zum Abschuss freigegeben ...
Jede Geschichte kann man im Netz recherchieren. "Wahre Geschichten" eben.

... ein Zitat

"Ende Februar 1991 aber wurde Tracy, liebstes Schaf der Pharmaceutical Proteins Limited, erstmals Mutter, und als in jedem Liter Milch, der fortan aus ihrem Euter tropfte, 35 Gramm des menschlichen Proteins Alpha-1-Antitrypsin flossen, leistete sich Ron James, der im Mittleren Westen Amerikas per Fax die frohe Botschaft erfuhr, ein kühles Bier; nicht mehr, aber immerhin. Schließlich entsprach das, was eingetroffen war, der Erwartung.
Tracy gefiel nicht, dass sie von der Weide des Innenministeriums sollte, um schon wieder für einen Fotografen zu posieren."

... was mich bewegt hat

Bewegt haben mich die Menschen hinter den Schlagzeilen.

... die Sprache

Sehr exakt, aber auch auffallend einfühlend, wenn es um die Einzelschicksale geht. Die Sprache eines bemerkenswerten Erzählers.

... ein Fazit

Autoren, die sich auf Kurzgeschichten verstehen, sind eher selten. Hier überzeugt das Wahre und Knackige, aber auch Gefühlvolle und manchmal Ironische. Eine einzigartige Mischung. In manche Geschichten muss man erst rein finden. Bis auf eine überzeugten mich alle.
Bitte lesen!

Sonntag, 13. Januar 2019

"Die Frau von dreißig Jahren" 
von Honoré de Balzac



" Das Herz hat sein eigenes Gedächtnis."

Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Gegen den Willen ihres Vaters heiratet die junge Julie den deutlich älteren Marquis d'Aiglemont. Zunächst "stolz, eitel und glücklich", weil er sie zur Frau genommen hat, wirft sie ihm schon bald "Herrschsucht" vor. Julie lässt sich auf verschiedene Affairen ein und als sie dreißig ist, macht ihr der Diplomat Charles de Vandenesse den Hof. Dieser sieht in Julie eine interessante "erfahrene Frau". Daher rührt der Titel des Buches.
Aus den Liebesbeziehungen gehen mehrere Kinder hervor. Ab der Mitte des Romans spielt Julies Tochter Helene ein wichtige Rolle. 
Zum Endes des Buches bleiben nur noch Julie und ihre Tochter Moina. Letztere beginnt unwissentlich eine Affaire mit ihrem Halbbruder. 

... ein Zitat

"Gott, der sich durch die Familie selbst rächt, der sich ewig der Kinder gegen die Mütter, der Väter gegen die Söhne, der Völker gegen die Könige, der Fürsten gegen die Nationen, aller gegen alle bedient; in der Welt der Moral ersetzt er Gefühle durch Gefühle, wie die jungen Blätter die alten im Frühling abstoßen: er handelt einer unumstößlichen Ordnung folgend, einem Ziel zustrebend, das er allein kennt. Alles kommt von ihm, besser noch, alles kehrt in seinen Schoß zurück."

... was mich bewegt hat

Balzacs Einfühlungsvermögen in das Gefühlsleben einer jungen Frau.

... die Sprache

Ich mag sie durchaus, liebe es auch blumig und den Überschwang darin. Aber stellenweise ist es mir doch mit zuviel Pathos geschrieben.

... ein Fazit

Balzac zählt zum Kanon der Weltliteratur, aber dieses Werk möchte ich nicht  empfehlen.
Ursprünglich sollten die Kapitel Erzählungen für sich sein. Später überarbeitete Balzac sie und machte einen Roman daraus. Meines Erachtens merkt man es, denn die Übergänge sind, vor allem in der zweiten Buchhälfte, zunehmend irritierend.

Als Marcel Reich-Ranicki 1938 aus Deutschland deportiert wurde, durfte er kein Gepäck mitnehmen. Aber er steckte ein Buch ein, nämlich obiges, seine damals aktuelle Lektüre. 



Wörter bedeuten dem Kind die Welt ...


"Durch Schreiben wurde ich geboren."


Jean-Paul Sartre wurde am 21 Juni 1905 geboren. Auch seine Kindheit ist ein gutes Beispiel dafür, wie sehr diese prägend sein kann für das Leben eines späteres Autoren. Als sein Vater sehr früh starb, zog die Mutter mit dem Sohn zurück zu ihren Eltern. Durch den Großvater, der eine Fremdsprachenschule leitete, erhielt Jean-Paul die entscheidenden Anregungen in Richtung Literatur. Schon in seinen ersten zehn Lebensjahren bildete sich für ihn der klare Berufswunsch Schriftsteller heraus. Viel mehr: er fühlte sich berufen. Der von ihm verehrte Großvater widmete ihm viel Zeit und nahm ihn früh mit in seine Bibliothek, die sich dem kleinen Sartre wie ein "Tempel" offenbarte und fast zur "Religion" wurde. Als "Mann des Geistes" führte der Großvater den Enkel in die ganze Pracht der Bücher ein.
"Ich konnte noch nicht lesen, aber ich verehrte sie bereits."
Sartes biographische Schriften sind gespickt von solchen Aussagen, die an Verherrlichung grenzen. Wenn man auch als Leser viel Freude daran hat, bleibt das ungute Gefühl, der kleine Sartre sei vielleicht nicht ganz kindgerecht aufgewachsen. Stets war er bemüht, es dem Großvater nachzutun und fing schon sehr früh an zu lesen und eigene Texte zu schreiben. Er wollte der "vorbildliche Enkel" sein, er wollte gefallen. 
Nach dem Besuch des Pariser Lyceums studierte Sartre Psychologie, Philosophie und Soziologie. Sartre wurde zu einem der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde seine Philosophie als geistiger Aufbruch empfunden. Bis zuletzt blieb er aber, vor allem wegen seiner politischen Aktivitäten, eine umstrittene Persönlichkeit. 
Jean-Paul Sartre bekam 1964 den Nobelpreis für Literatur verliehen. Er lehnte ihn aber ab mit dem Hinweis darauf, dass er sich nicht von einer konservativen Institution vereinnahmen lassen wollte.



Dem Anfang wohnt ein Zauber inne ...




"Ich las, als wär' es Atemholen." Erich Kästner


Wahrscheinlich sind diese drei Werke kaum zu vergleichen und doch haben sie etwas gemein, lassen sie mich nämlich erfahren, was diesen Autoren den Weg zum Schriftstellertum wies, wie ihre jeweilige Liebe zum Lesen und Schreiben geweckt wurde.

Hermann Hesse (geb. 2. Juli 1877) wuchs sehr behütet in einer intellektuellen evangelischen Missionarsfamilie in Calw und in Basel auf, liebte den "großen Büchersaal" des Großvaters und die Klugheit des Vaters, wenn auch  die Beziehung zum Vater nicht einfach war. Stets musste er dessen Strenge und Strafe fürchten. Oft zog Hermann sich zum Träumen in einen Lattenverschlag im Garten zurück oder flüchtete in die Lektüre eines Buches und verspürte beim Lesen viel Zauber. Auf der Internatsschule galt er als Sonderling, da er sich Schiller und Shakespeare mehr verbunden fühlte als den Mitschülern. Mit dreizehn Jahren wusste er bereits, dass er Dichter werden wollte. Zunächst absolvierte er aber eine Buchhändlerlehre. 1904 erschien mit "Peter Camenzind" sein erster Roman.
Hermann Hesse erhielt 1946 den Nobelpreis für Literatur.

Heinrich Böll (geb. 21. Dezember 1917) wuchs sehr geborgen in einer gut situierten katholischen Familie in Köln auf. Die Eltern wünschten eine gute Ausbildung ihrer Kinder und erreichten, dass alle acht Kinder das Gymnasium besuchen konnten. Lesen wurde in der Familie groß geschrieben und selbst, als sie nach der Weltwirtschaftskrise verarmte, wurde weiterhin Geld für Bücher ausgegeben.
"Fünfzig Pfennige, das bedeutete zwei bis drei antiquarische Bücher."
Die "intensiv lesende Familie" überlegte, Heinrich solle Buchhändler werden. Nach elf Monaten brach er die Lehre ab und begann Germanistik und klassische Philologie zu studieren. Inzwischen hatte er "von Dostojewski  beeinflusst" mit dem Schreiben begonnen. Im selben Jahr wurde er zur Wehrmacht einberufen. Nach dem Krieg entstanden seine ersten Kurzgeschichten, die auch zugleich veröffentlicht wurden. Als sein erster Roman gilt "Wo warst du, Adam?", der 1951 erschien und zur Nachkriegsliteratur zu zählen ist.
Heinrich Böll erhielt 1972 den Nobelpreis für Literatur.

Erich Kästner (geb. 23. Februar 1899) wuchs in ärmlichen Verhältnissen in Dresden auf. Seine Mutter tat alles, was in ihrer Macht stand, um dem Sohn eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Als es darum ging, zusätzliches Geld zu verdienen, vermietete sie ihre 3-Zimmer-Wohnung an Lehrer unter. Diese prägten den Jungen und seine Berufsvorstellung:
"Wenn ich groß bin, denk ich, werd ich Lehrer. Dann les ich alle Bücher ..."
Nach dem ersten Ersten Weltkrieg brach er die Lehrerausbildung allerdings ab und studierte in Leipzig Geschichte, Philosophie, Germanistik und Theaterwissenschaft. Er schrieb für verschiedene Zeitungen (z.B. das "Berliner Tageblatt") und 1929 erschien mit "Emil und die Detektive" sein erstes und bis heute berühmtestes Kinderbuch.
Viele seine Kinderbücher weisen starke autobiographische Züge auf. In einigen verarbeitete er die sehr enge Beziehung zu seiner Mutter. 

Montag, 7. Januar 2019


"Spielplatz der Helden" 
von Michael Köhlmeier



"Der Schnee glitzerte wie eine Glasur."

Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Der Roman geht auf eine wahre Geschichte zurück: 1983 durchquerten tatsächlich drei Südtiroler Grönland. Michael Köhlmeier greift deren Expedition auf (widmet dieses Buch gar den Teilnehmern) und stellt diese Tour in den Mittelpunkt des vorliegenden Romans. Soweit die Idee, doch er gibt  seinen Helden andere Namen und entwickelt ihre Charaktere frei. 
Wie bereitet sich ein Team auf so ein Abenteuer vor und was ist die Voraussetzung für sein Gelingen? Ganz anders als erwartet haben wir es hier mit drei Extremsportlern zu tun, die von Anfang an zerstritten sind und deren ausgesprochene Egozentrik das ganze Unterfangen erheblich gefährdet. Somit grenzt das erfolgreiche Abschließen der Expedition letztendlich an ein Wunder. 
Nach ihrer Heimkehr interviewt ein Journalist die drei Männer und ist nicht wenig überrascht, auf welch komplizierte Eigenbrötler er dabei stößt.
Das Buch teilt sich in drei Abschnitte und in jedem kommt ein anderer dieser Individualisten zu Wort. Nach und nach erfährt der Leser von einigen heiklen Vorfällen während dieser 88 Tage und deren Folgen.

... ein Zitat

"Ich habe mit ihnen über gar nichts reden können, über gar nichts. Oben auf dem Inlandeis ist mir der Kopf explodiert. Ich hätte jemanden gebraucht. Es war nicht möglich. Der Degaspari hat eineinhalb Monate hindurch kein Wort gesagt. Stell dir das vor! In dieser Wüste! Wo es nur drei Menschen gibt: Degaspari, Gratt, Minach. Da redet einer eineinhalb Monate hindurch kein Wort. Keine Silbe. 

... was mich bewegt hat

Bewegt ist vielleicht das falsche Wort, aber ich war erstaunt, wie Michael Köhlmeier es schafft, meine Sympathien für diese drei so verschiedenen Männer immer wieder aufs Neue zu verrücken.

... die Sprache                                                                         

Sehr eingängig und leicht zu lesen. 

... ein Fazit

Michael Köhlmeier weiß zu erzählen und den Leser zu fesseln. Ich habe das Buch verschlungen. Einzig das Privatleben des Journalisten hat mich etwas gelangweilt.

                                                                                                               

Freitag, 4. Januar 2019


"Alles fließt" von Elke Heidenreich


"Ich bin seit meiner Kindheit mit dem Rhein eng vertraut."

Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Elke Heidenreich ist dem Rhein von seinen Quellen bis in die Niederlande gefolgt. Ihn entlang erzählt sie passend zum Verlauf Wissenswertes und Persönliches, trägt Historisches zusammen, sowie Geschichten und Gedichte. Tom Krausz, ein mit ihr befreundeter Fotograf, begleitet sie und macht die Aufnahmen für dieses Buch. Je nach Flussabschnitt erwartet die Beiden schöne Landschaft oder hässliche Industrieansiedlung. Elke Heidenreich kommentiert alles, gerät mal ins Schwärmen oder heftige Lamentieren.

... ein Zitat

"Er hat immer schon zum Pathos, zur Emphase verlockt, unser Rhein. Und auch uns geht es ja auf dieser Reise nicht anders - wie oft standen wir am Ufer, sahen, was da jede Sekunde vorüberrauscht seit Tausenden von Jahren und waren, ja: ergriffen, beeindruckt, demütig, glücklich und voller Respekt. Wenn ich heute in Köln an meinem Rheinufer stehe, habe ich das Bild der hellen, raschen Quellen im Kopf - fast zwei Wochen ist das Quellwasser nun schon unterwegs und fließt gerade an mir vorbei."

... was mich bewegt hat

Gut gefällt mir die Vorstellung, "dass alles fließt". Der Ausspruch geht zurück auf den Philosophen Heraklit. Auf lateinisch: "panta rhei".

... die Sprache

Das lässt sich kurz fassen: Elke Heidenreich schreibt so, wie sie spricht. Daran muss man sich als Leser gewöhnen.

... ein Fazit

Alles in allem ist es ein bemerkenswertes Buch, stellenweise aber etwas überbordet mit Jahreszahlen und Historischem. 

Donnerstag, 3. Januar 2019


"Malva" von Hagar Peeters



"So schön diese Blume ist, so hässlich war ich."

Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Malva war die einzige Tochter des berühmten chilenischen Dichters Pablo Neruda und wenig bekannt, da dieser sich schon früh von seiner ersten Ehefrau und dem Kind lossagte. Das kleine Mädchen kam 1934 mit einem Wasserkopf zur Welt und passte mutmaßend nicht ins Leben des Freiheitsdenkers und Literaturnobelpreisträgers.
Hagar Peeters gibt Malva in ihrem Buch eine zunächst leise, aber immer kraftvoller werdende Stimme. Als Malva mit acht Jahren an ihrer Behinderung stirbt, verlässt das Mädchen das Erdendasein und blickt von nun an vom Himmel herab, wobei sie zurück als auch weit voraus zu schauen vermag, ist also zugleich Verstorbene als auch "allwissende Weiterlebende". Mit kindlichem Charme und Trotz lässt sie ihr eigenes und das Leben ihres Vaters Revue passieren und nimmt ihn 1973 an seinem Todestag "an die Hand", um auch ihn in den Himmel zu holen. 
Malva hat sich im Himmel glücklich eingerichtet, denn dort ist sie nicht alleine. Mit ihr zusammen leben dort weitere Kinder, die von ihren berühmten Vätern verstoßen wurden. Malvas bester Freund ist Oskar Matzerath, aber da sind weitere Gleichgesinnte, wie Eduard Einstein und Daniel Miller (der Sohn von Arthur Miller). Eine gar nicht mal traurige Gemeinschaft, sondern eine zumeist von weiser Vergnüglichkeit geprägte Vertrautenrunde.

... ein Zitat

"So wie die Malva neglecta weiße Blütenblätter hat, so trug ich während meines kurzen Daseins auf Erden hauchfeine weiße Kleidchen und ein weißes  Strickmützchen. So glich ich selbst einer Blume und mein Kopf dem überdimensionalen Kelch, der sich hinter den Blättern verbarg. Gibt es ein treffenderes Bild für ein Mädchen, das mit acht Jahren an einem  Wasserkopf starb, das zu Lebzeiten von seinem chilenischen Vater, einem Dichter, verstoßen wurde und das in Gouda begraben ist?

... was mich bewegt hat

Ein kleines Mädchen, das sich trotz aller Traurigkeit aufschwingt, ihren berühmten Vater nicht nur zu kritisieren, sonder auch zu lieben. Es geht sehr zu Herzen. Trotzdem schwingt auch Humor mit, wahrscheinlich durch Malvas herrliche Freunde, allen voran Oskar Matzerath mit seiner Trommel.

... die Sprache

Sprachlich voller Wort- und Liebreiz. Sehr poetisch und wie von einer ergreifenden Melodie getragen.

... ein Fazit

Für mich eines der schönsten Leseerfahrungen 2018. Spannend, bewegend und mit viel Liebe erzählt.

Sehr sehenswert: 
https://www.youtube.com/watch?v=CVwj91ybdcE