Dienstag, 29. Januar 2019


"Sumchi" von Amos Oz


"Es war Hochsommer in Jerusalem ..."

Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Sumchi ist elf Jahre alt und lebt mit seinen Eltern in Jerusalem. Die Geschichte spielt 1947, ein Jahr vor der Gründung des Staates Israel und da Amos Oz sagt, es sei eine "wahre Geschichte", vermute ich, dass sie autobiographische Züge hat.
Sumchi träumt von den Bergketten des Himalaja (er möchte unbedingt mal dort hin) und von Esthi, einer Mitschülerin. Beides scheint ihm fern und unerreichbar, doch es kommt der Tag, an dem ihm sein Onkel ein Fahrrad schenkt und er Esthi ganz viel anvertraut ...
Nach diesem turbulenten Tag muss Sumchi wieder mal feststellen, dass nichts bleibt, wie es ist. Und als der Sommer zu Ende geht, ist auch Sumchi nicht mehr derselbe, gewachsen an dem, was er erlebt hat.

... ein Zitat

"Ausgeschlossen, dass man im Zimmer eines Mädchens den Schädel einer Katze findet, auch keine leeren Bierdosen, Schraubenzieher oder Nägel, auch nicht die Federn und Rädchen und Zeiger von zerlegten Uhren und keine alten Taschenmesser. Und auf gar keinen Fall hängen an den Wänden Abbildungen brennender Kriegsschiffe. Im Gegenteil. In Esthis Zimmer herrschte eine Art farbiges Licht: rötlich braun und warm ... Du bist im Zimmer eines Mädchens, dachte ich, du bist bei Esthi, dachte ich, und du sitzt da und sagst kein Wort, weil du einfach ein großer dummer Klotz bist, Sumchi."

... was mich bewegt hat

Sumchis Erfahrung, dass seine Eltern letztendlich doch hinter ihm stehen.

... die Sprache

Der Deutsche Taschenbuchverlag gibt für dieses Jugendbuch die Alterszielgruppe 10-12 Jahre vor. Sprachlich aber doch so komplex, dass auch Erwachsene es gut lesen können.

... ein Fazit

Der junge Sumchi und seine Gedankenwelt haben mich gefesselt. Eine wunderbare Lektüre, die ich jedem empfehlen möchte.

Amos Oz starb  am 28. Dezember 2018 in Tel Aviv, Mirjam Pressler, seine deutsche Übersetzerin, keine drei Wochen später am 16. Januar 2019 in Landshut.
Den beiden zu Gedenken habe ich jetzt dieses wunderbare Buch gelesen.



"Vor der Tagesschau, an einem späten Sonntagnachmittag"
 von Erwin Koch


"... und wieder schien mir, 
dass nichts so unwahrscheinlich ist wie die Wirklichkeit."

Es bleiben in Erinnerung ...

... die Stories

Wir haben es hier mit Stories zu tun, die einem zweifelsohne in Erinnerung bleiben werden.
Zum besseren Verständnis vorab ein paar Zeilen zum Autor:
Erwin Koch ist ein Schweizer Journalist und Schriftsteller und lebt in Luzern. Er schrieb unter anderem für Die Zeit, Geo und das Frankfurter Allgemeine Zeitung Magazin. Von 1999 bis 2002 als Reporter beim Spiegel beschäftigt, danach freischaffend.
So erklärt sich sein Interesse für politische und gesellschaftliche Vorgänge und aus diesem heraus wurde dieses Buch geboren.
Es beinhaltet zwölf Geschichten, die von Alabama bis Brünn reichen und allesamt von der Schicksalshaftigkeit des Lebens erzählen. Erwin Koch beschränkt sich nicht auf eine sachliche Berichterstattung, sondern er sucht den Menschen dahinter. Zunächst lässt sein präziser minutiöser Stil Distanz vermuten, aber dem ist nicht so. Er geht ganz nah dran, möchte alle Gefühle ausloten: Beweggründe, Ansichten, Ängste.

Ein zum Tode Verurteilter vermacht seinen Körper der Wissenschaft, ein Folterer redet sich mit Gehorsam raus, ein hochgeachteter Mann unterschlägt Millionen Franken für einen guten Zweck, Mevlüde Genc erzählt von dem Anschlag auf ihre Familie in Solingen, der Gemeinderat des Schweizer Dorfes Brittnau überrascht mit einem Beschluss gegen die Aufnahme von Asylanten, ein Schafe reißender Wolf im Baselgebiet wird zum Abschuss freigegeben ...
Jede Geschichte kann man im Netz recherchieren. "Wahre Geschichten" eben.

... ein Zitat

"Ende Februar 1991 aber wurde Tracy, liebstes Schaf der Pharmaceutical Proteins Limited, erstmals Mutter, und als in jedem Liter Milch, der fortan aus ihrem Euter tropfte, 35 Gramm des menschlichen Proteins Alpha-1-Antitrypsin flossen, leistete sich Ron James, der im Mittleren Westen Amerikas per Fax die frohe Botschaft erfuhr, ein kühles Bier; nicht mehr, aber immerhin. Schließlich entsprach das, was eingetroffen war, der Erwartung.
Tracy gefiel nicht, dass sie von der Weide des Innenministeriums sollte, um schon wieder für einen Fotografen zu posieren."

... was mich bewegt hat

Bewegt haben mich die Menschen hinter den Schlagzeilen.

... die Sprache

Sehr exakt, aber auch auffallend einfühlend, wenn es um die Einzelschicksale geht. Die Sprache eines bemerkenswerten Erzählers.

... ein Fazit

Autoren, die sich auf Kurzgeschichten verstehen, sind eher selten. Hier überzeugt das Wahre und Knackige, aber auch Gefühlvolle und manchmal Ironische. Eine einzigartige Mischung. In manche Geschichten muss man erst rein finden. Bis auf eine überzeugten mich alle.
Bitte lesen!

Sonntag, 13. Januar 2019

"Die Frau von dreißig Jahren" 
von Honoré de Balzac



" Das Herz hat sein eigenes Gedächtnis."

Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Gegen den Willen ihres Vaters heiratet die junge Julie den deutlich älteren Marquis d'Aiglemont. Zunächst "stolz, eitel und glücklich", weil er sie zur Frau genommen hat, wirft sie ihm schon bald "Herrschsucht" vor. Julie lässt sich auf verschiedene Affairen ein und als sie dreißig ist, macht ihr der Diplomat Charles de Vandenesse den Hof. Dieser sieht in Julie eine interessante "erfahrene Frau". Daher rührt der Titel des Buches.
Aus den Liebesbeziehungen gehen mehrere Kinder hervor. Ab der Mitte des Romans spielt Julies Tochter Helene ein wichtige Rolle. 
Zum Endes des Buches bleiben nur noch Julie und ihre Tochter Moina. Letztere beginnt unwissentlich eine Affaire mit ihrem Halbbruder. 

... ein Zitat

"Gott, der sich durch die Familie selbst rächt, der sich ewig der Kinder gegen die Mütter, der Väter gegen die Söhne, der Völker gegen die Könige, der Fürsten gegen die Nationen, aller gegen alle bedient; in der Welt der Moral ersetzt er Gefühle durch Gefühle, wie die jungen Blätter die alten im Frühling abstoßen: er handelt einer unumstößlichen Ordnung folgend, einem Ziel zustrebend, das er allein kennt. Alles kommt von ihm, besser noch, alles kehrt in seinen Schoß zurück."

... was mich bewegt hat

Balzacs Einfühlungsvermögen in das Gefühlsleben einer jungen Frau.

... die Sprache

Ich mag sie durchaus, liebe es auch blumig und den Überschwang darin. Aber stellenweise ist es mir doch mit zuviel Pathos geschrieben.

... ein Fazit

Balzac zählt zum Kanon der Weltliteratur, aber dieses Werk möchte ich nicht  empfehlen.
Ursprünglich sollten die Kapitel Erzählungen für sich sein. Später überarbeitete Balzac sie und machte einen Roman daraus. Meines Erachtens merkt man es, denn die Übergänge sind, vor allem in der zweiten Buchhälfte, zunehmend irritierend.

Als Marcel Reich-Ranicki 1938 aus Deutschland deportiert wurde, durfte er kein Gepäck mitnehmen. Aber er steckte ein Buch ein, nämlich obiges, seine damals aktuelle Lektüre. 



Wörter bedeuten dem Kind die Welt ...


"Durch Schreiben wurde ich geboren."


Jean-Paul Sartre wurde am 21 Juni 1905 geboren. Auch seine Kindheit ist ein gutes Beispiel dafür, wie sehr diese prägend sein kann für das Leben eines späteres Autoren. Als sein Vater sehr früh starb, zog die Mutter mit dem Sohn zurück zu ihren Eltern. Durch den Großvater, der eine Fremdsprachenschule leitete, erhielt Jean-Paul die entscheidenden Anregungen in Richtung Literatur. Schon in seinen ersten zehn Lebensjahren bildete sich für ihn der klare Berufswunsch Schriftsteller heraus. Viel mehr: er fühlte sich berufen. Der von ihm verehrte Großvater widmete ihm viel Zeit und nahm ihn früh mit in seine Bibliothek, die sich dem kleinen Sartre wie ein "Tempel" offenbarte und fast zur "Religion" wurde. Als "Mann des Geistes" führte der Großvater den Enkel in die ganze Pracht der Bücher ein.
"Ich konnte noch nicht lesen, aber ich verehrte sie bereits."
Sartes biographische Schriften sind gespickt von solchen Aussagen, die an Verherrlichung grenzen. Wenn man auch als Leser viel Freude daran hat, bleibt das ungute Gefühl, der kleine Sartre sei vielleicht nicht ganz kindgerecht aufgewachsen. Stets war er bemüht, es dem Großvater nachzutun und fing schon sehr früh an zu lesen und eigene Texte zu schreiben. Er wollte der "vorbildliche Enkel" sein, er wollte gefallen. 
Nach dem Besuch des Pariser Lyceums studierte Sartre Psychologie, Philosophie und Soziologie. Sartre wurde zu einem der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde seine Philosophie als geistiger Aufbruch empfunden. Bis zuletzt blieb er aber, vor allem wegen seiner politischen Aktivitäten, eine umstrittene Persönlichkeit. 
Jean-Paul Sartre bekam 1964 den Nobelpreis für Literatur verliehen. Er lehnte ihn aber ab mit dem Hinweis darauf, dass er sich nicht von einer konservativen Institution vereinnahmen lassen wollte.



Dem Anfang wohnt ein Zauber inne ...




"Ich las, als wär' es Atemholen." Erich Kästner


Wahrscheinlich sind diese drei Werke kaum zu vergleichen und doch haben sie etwas gemein, lassen sie mich nämlich erfahren, was diesen Autoren den Weg zum Schriftstellertum wies, wie ihre jeweilige Liebe zum Lesen und Schreiben geweckt wurde.

Hermann Hesse (geb. 2. Juli 1877) wuchs sehr behütet in einer intellektuellen evangelischen Missionarsfamilie in Calw und in Basel auf, liebte den "großen Büchersaal" des Großvaters und die Klugheit des Vaters, wenn auch  die Beziehung zum Vater nicht einfach war. Stets musste er dessen Strenge und Strafe fürchten. Oft zog Hermann sich zum Träumen in einen Lattenverschlag im Garten zurück oder flüchtete in die Lektüre eines Buches und verspürte beim Lesen viel Zauber. Auf der Internatsschule galt er als Sonderling, da er sich Schiller und Shakespeare mehr verbunden fühlte als den Mitschülern. Mit dreizehn Jahren wusste er bereits, dass er Dichter werden wollte. Zunächst absolvierte er aber eine Buchhändlerlehre. 1904 erschien mit "Peter Camenzind" sein erster Roman.
Hermann Hesse erhielt 1946 den Nobelpreis für Literatur.

Heinrich Böll (geb. 21. Dezember 1917) wuchs sehr geborgen in einer gut situierten katholischen Familie in Köln auf. Die Eltern wünschten eine gute Ausbildung ihrer Kinder und erreichten, dass alle acht Kinder das Gymnasium besuchen konnten. Lesen wurde in der Familie groß geschrieben und selbst, als sie nach der Weltwirtschaftskrise verarmte, wurde weiterhin Geld für Bücher ausgegeben.
"Fünfzig Pfennige, das bedeutete zwei bis drei antiquarische Bücher."
Die "intensiv lesende Familie" überlegte, Heinrich solle Buchhändler werden. Nach elf Monaten brach er die Lehre ab und begann Germanistik und klassische Philologie zu studieren. Inzwischen hatte er "von Dostojewski  beeinflusst" mit dem Schreiben begonnen. Im selben Jahr wurde er zur Wehrmacht einberufen. Nach dem Krieg entstanden seine ersten Kurzgeschichten, die auch zugleich veröffentlicht wurden. Als sein erster Roman gilt "Wo warst du, Adam?", der 1951 erschien und zur Nachkriegsliteratur zu zählen ist.
Heinrich Böll erhielt 1972 den Nobelpreis für Literatur.

Erich Kästner (geb. 23. Februar 1899) wuchs in ärmlichen Verhältnissen in Dresden auf. Seine Mutter tat alles, was in ihrer Macht stand, um dem Sohn eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Als es darum ging, zusätzliches Geld zu verdienen, vermietete sie ihre 3-Zimmer-Wohnung an Lehrer unter. Diese prägten den Jungen und seine Berufsvorstellung:
"Wenn ich groß bin, denk ich, werd ich Lehrer. Dann les ich alle Bücher ..."
Nach dem ersten Ersten Weltkrieg brach er die Lehrerausbildung allerdings ab und studierte in Leipzig Geschichte, Philosophie, Germanistik und Theaterwissenschaft. Er schrieb für verschiedene Zeitungen (z.B. das "Berliner Tageblatt") und 1929 erschien mit "Emil und die Detektive" sein erstes und bis heute berühmtestes Kinderbuch.
Viele seine Kinderbücher weisen starke autobiographische Züge auf. In einigen verarbeitete er die sehr enge Beziehung zu seiner Mutter. 

Montag, 7. Januar 2019


"Spielplatz der Helden" 
von Michael Köhlmeier



"Der Schnee glitzerte wie eine Glasur."

Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Der Roman geht auf eine wahre Geschichte zurück: 1983 durchquerten tatsächlich drei Südtiroler Grönland. Michael Köhlmeier greift deren Expedition auf (widmet dieses Buch gar den Teilnehmern) und stellt diese Tour in den Mittelpunkt des vorliegenden Romans. Soweit die Idee, doch er gibt  seinen Helden andere Namen und entwickelt ihre Charaktere frei. 
Wie bereitet sich ein Team auf so ein Abenteuer vor und was ist die Voraussetzung für sein Gelingen? Ganz anders als erwartet haben wir es hier mit drei Extremsportlern zu tun, die von Anfang an zerstritten sind und deren ausgesprochene Egozentrik das ganze Unterfangen erheblich gefährdet. Somit grenzt das erfolgreiche Abschließen der Expedition letztendlich an ein Wunder. 
Nach ihrer Heimkehr interviewt ein Journalist die drei Männer und ist nicht wenig überrascht, auf welch komplizierte Eigenbrötler er dabei stößt.
Das Buch teilt sich in drei Abschnitte und in jedem kommt ein anderer dieser Individualisten zu Wort. Nach und nach erfährt der Leser von einigen heiklen Vorfällen während dieser 88 Tage und deren Folgen.

... ein Zitat

"Ich habe mit ihnen über gar nichts reden können, über gar nichts. Oben auf dem Inlandeis ist mir der Kopf explodiert. Ich hätte jemanden gebraucht. Es war nicht möglich. Der Degaspari hat eineinhalb Monate hindurch kein Wort gesagt. Stell dir das vor! In dieser Wüste! Wo es nur drei Menschen gibt: Degaspari, Gratt, Minach. Da redet einer eineinhalb Monate hindurch kein Wort. Keine Silbe. 

... was mich bewegt hat

Bewegt ist vielleicht das falsche Wort, aber ich war erstaunt, wie Michael Köhlmeier es schafft, meine Sympathien für diese drei so verschiedenen Männer immer wieder aufs Neue zu verrücken.

... die Sprache                                                                         

Sehr eingängig und leicht zu lesen. 

... ein Fazit

Michael Köhlmeier weiß zu erzählen und den Leser zu fesseln. Ich habe das Buch verschlungen. Einzig das Privatleben des Journalisten hat mich etwas gelangweilt.

                                                                                                               

Freitag, 4. Januar 2019


"Alles fließt" von Elke Heidenreich


"Ich bin seit meiner Kindheit mit dem Rhein eng vertraut."

Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Elke Heidenreich ist dem Rhein von seinen Quellen bis in die Niederlande gefolgt. Ihn entlang erzählt sie passend zum Verlauf Wissenswertes und Persönliches, trägt Historisches zusammen, sowie Geschichten und Gedichte. Tom Krausz, ein mit ihr befreundeter Fotograf, begleitet sie und macht die Aufnahmen für dieses Buch. Je nach Flussabschnitt erwartet die Beiden schöne Landschaft oder hässliche Industrieansiedlung. Elke Heidenreich kommentiert alles, gerät mal ins Schwärmen oder heftige Lamentieren.

... ein Zitat

"Er hat immer schon zum Pathos, zur Emphase verlockt, unser Rhein. Und auch uns geht es ja auf dieser Reise nicht anders - wie oft standen wir am Ufer, sahen, was da jede Sekunde vorüberrauscht seit Tausenden von Jahren und waren, ja: ergriffen, beeindruckt, demütig, glücklich und voller Respekt. Wenn ich heute in Köln an meinem Rheinufer stehe, habe ich das Bild der hellen, raschen Quellen im Kopf - fast zwei Wochen ist das Quellwasser nun schon unterwegs und fließt gerade an mir vorbei."

... was mich bewegt hat

Gut gefällt mir die Vorstellung, "dass alles fließt". Der Ausspruch geht zurück auf den Philosophen Heraklit. Auf lateinisch: "panta rhei".

... die Sprache

Das lässt sich kurz fassen: Elke Heidenreich schreibt so, wie sie spricht. Daran muss man sich als Leser gewöhnen.

... ein Fazit

Alles in allem ist es ein bemerkenswertes Buch, stellenweise aber etwas überbordet mit Jahreszahlen und Historischem. 

Donnerstag, 3. Januar 2019


"Malva" von Hagar Peeters



"So schön diese Blume ist, so hässlich war ich."

Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Malva war die einzige Tochter des berühmten chilenischen Dichters Pablo Neruda und wenig bekannt, da dieser sich schon früh von seiner ersten Ehefrau und dem Kind lossagte. Das kleine Mädchen kam 1934 mit einem Wasserkopf zur Welt und passte mutmaßend nicht ins Leben des Freiheitsdenkers und Literaturnobelpreisträgers.
Hagar Peeters gibt Malva in ihrem Buch eine zunächst leise, aber immer kraftvoller werdende Stimme. Als Malva mit acht Jahren an ihrer Behinderung stirbt, verlässt das Mädchen das Erdendasein und blickt von nun an vom Himmel herab, wobei sie zurück als auch weit voraus zu schauen vermag, ist also zugleich Verstorbene als auch "allwissende Weiterlebende". Mit kindlichem Charme und Trotz lässt sie ihr eigenes und das Leben ihres Vaters Revue passieren und nimmt ihn 1973 an seinem Todestag "an die Hand", um auch ihn in den Himmel zu holen. 
Malva hat sich im Himmel glücklich eingerichtet, denn dort ist sie nicht alleine. Mit ihr zusammen leben dort weitere Kinder, die von ihren berühmten Vätern verstoßen wurden. Malvas bester Freund ist Oskar Matzerath, aber da sind weitere Gleichgesinnte, wie Eduard Einstein und Daniel Miller (der Sohn von Arthur Miller). Eine gar nicht mal traurige Gemeinschaft, sondern eine zumeist von weiser Vergnüglichkeit geprägte Vertrautenrunde.

... ein Zitat

"So wie die Malva neglecta weiße Blütenblätter hat, so trug ich während meines kurzen Daseins auf Erden hauchfeine weiße Kleidchen und ein weißes  Strickmützchen. So glich ich selbst einer Blume und mein Kopf dem überdimensionalen Kelch, der sich hinter den Blättern verbarg. Gibt es ein treffenderes Bild für ein Mädchen, das mit acht Jahren an einem  Wasserkopf starb, das zu Lebzeiten von seinem chilenischen Vater, einem Dichter, verstoßen wurde und das in Gouda begraben ist?

... was mich bewegt hat

Ein kleines Mädchen, das sich trotz aller Traurigkeit aufschwingt, ihren berühmten Vater nicht nur zu kritisieren, sonder auch zu lieben. Es geht sehr zu Herzen. Trotzdem schwingt auch Humor mit, wahrscheinlich durch Malvas herrliche Freunde, allen voran Oskar Matzerath mit seiner Trommel.

... die Sprache

Sprachlich voller Wort- und Liebreiz. Sehr poetisch und wie von einer ergreifenden Melodie getragen.

... ein Fazit

Für mich eines der schönsten Leseerfahrungen 2018. Spannend, bewegend und mit viel Liebe erzählt.

Sehr sehenswert: 
https://www.youtube.com/watch?v=CVwj91ybdcE