Sonntag, 2. Juli 2017

"Glückskind mit Vater" von Christoph Hein



" Mein Vater hat so viele Menschen auf dem Gewissen. 
Und jetzt bringt er auch noch mich um."


Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Konstantin kommt am 14. Mai 1945 in einer deutschen Kleinstadt zur Welt. Zwei Wochen später wird sein Vater in Polen als Kriegsverbrecher gehenkt. Ein Mann, der als glühender Nationalsozialist sein Kunststoff produzierendes Werk um ein Konzentrationslager hatte erweitern wollen, um günstig an Arbeitskräfte zu kommen. "Vernichtung durch Arbeit" nannte man das damals.
Konstantins durch Enteignung verarmte und zutiefst beschämte Mutter setzt bei den Behörden durch, dass sie für sich und die beiden Söhne ihren Mädchennamen wieder annehmen darf. So beginnt der verzweifelte Versuch dieser Familie, die Vergangenheit abzuschütteln. Alleine Gunthard, Konstantins Bruder, leugnet die Gräueltaten des Vaters und hält den Vater hoch. Von da an gehen die Brüder getrennte Wege.
Konstantin flüchtet zunächst nach Marseille, wo er die wahrscheinlich glücklichste Zeit seines Lebens verbringt. Seine Mutter hatte ihre Söhne stets zu Hause in Sprachen unterrichtet. Dieses Wissen befähigt Konstantin, in Marseille als Dolmetscher zu arbeiten. Seiner besonders nimmt sich ein Buchantiquar an, der ihm nicht nur zu einer Anstellung und Wohnung verhilft, sondern auch noch zur Abendschule schickt und Konstantin das Abitur nachmachen lässt. Seinen Vater kann Konstantin sehr lange verdrängen, bis ihn dieser auch in Frankreich 
einholt ...
Konstantin flüchtet zurück nach Deutschland, als in Berlin gerade die Ostzone abgeriegelt wird. Auf ostdeutscher Seite schließt er seine Mutter wieder in die Arme und lässt sich in Magdeburg nieder. Studienjahre, Bewerbungen und sein Ersuchen, vom normalen Pädagogen zum Schuldirektor aufzusteigen, werden zum fast aussichtslosen Kampf, denn die Angaben zu seinem Vater in seiner Akte versperren im nahezu jeden Weg. Zwischendurch empfindet er sich immer mal als Glückskind ... doch er ist und bleibt das Kind dieses Vaters. Rückschläge.
Der Roman spiegelt sehr gut diese Zeit nach dem Mauerbau wieder, sowohl politisch als auch gesellschaftlich.
Nach der Wende klagt Konstantins Bruder das  Erbe seines Vaters erfolgreich ein, Konstantin jedoch verzichtet auf das Millionenerbe.

... ein Zitat

"Gunthard und ich waren und blieben seine Söhne über seinen Tod hinaus, wir blieben seine Kinder ... Über seinen Besitz wussten wir Bescheid, noch jahrelang gab es verschiedene Hinweise in der Stadt auf seine Fabrik, Straßenschilder, Wegzeichen, Inschriften und die Leute redeten darüber, denn viele von ihnen waren dort einst beschäftigt gewesen, aber über seine Aktivitäten im Krieg, seine Beziehungen zu hohen Nazigrößen wie Todt und Gebhard Himmler sprach man nicht, obwohl jeder in der Stadt andererseits behauptete, die beiden gesehen zu haben, als sie Vater besucht hatten.
Und das Rätsel blieb für uns und wuchs und wurde größer und belastender. Für mich jedenfalls. Gunthard kam leichter damit zurecht."

... was mich bewegt hat

Konstantins Familiengeschichte bewegt einfach sehr, da er "als Nachfahre dieses gefürchteten Mannes" tatsächlich ein Leben lang gezeichnet ist. Konstantin wird die Bürde nicht los. Das schuldlos gescheiterte Leben eines Kriegsverbrecherkindes. Auch die Beziehung zur Mutter leidet extrem darunter, obwohl die beiden sich sehr nahe sind. 
Und Konstantin beschließt keine Kinder zu wollen, damit der Dämon nicht durch ihn weitergegeben wird. Man spürt die Qual dahinter.


... die Sprache

Der Roman liest sich trotz seiner Länge leicht und schnell. Christoph Hein versteht sich darauf, den Leser zu berühren, ohne sprachlich in Unmäßigkeit oder Theatralik und zu fallen. Sein Schreibstil bleibt eher ruhig und nüchtern. 

... ein Fazit

Ein großer deutscher Roman mit einer bewegenden Geschichte. Sechzig Jahre spannen sich hier auf: vom Zweiten Weltkrieg über die Teilung des Landes bis hin zu Wiedervereinigung. Die Figur des Konstantin hat mich sehr gefesselt, besonders sein Faible für Antiquariate 😉
Sehr lesenswert!

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