Montag, 7. März 2016

"Vom Ende der Einsamkeit" von Benedict Wells



" Eine schwierige Kindheit ist wie ein unsichtbarer Feind, dachte ich. 
Man weiß nie, wann er zuschlagen wird."

Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Im Mittelpunkt dieses Romans steht ein junger Mann, der nach einem Motorradunfall sein Leben Revue passieren lässt. In jungen Jahren die "rauschhafte, alberne Unbeschwertheit" der Kindheit und dann die Zunahme von Ängsten, zuallererst ausgelöst durch den Verlust seiner Eltern. Jules kommt mit elf Jahren zusammen mit seinem Bruder und seiner Schwester ins Internat, doch werden die Geschwister dort getrennt und jeder muss für sich alleine den Tod der Eltern verarbeiten. Jules trägt besonders schwer daran, wird zu einem Einzelgänger und verträumten Eigenbrötler. Nur Alva, eine Klassenkameradin, scheint ihm seelenverwandt und Jules öffnet sich ihr ganz zaghaft. Alva kann seine Liebe nicht erkennen und die beiden verlieren sich nach der Schule aus den Augen. Jahre müssen vergehen, bevor sie sich wiedersehen und zu dem Zeitpunkt ist Alva bereits verheiratet ...

Inhaltlich hat dieser Roman die Dimension eines echten Schmökers, beschränkt sich aber auf etwa dreihundertfünfzig Seiten und die Ereignisse drängen sich. Mit Alva und Jules geht es nach dem Wiedersehen fesselnd und voller Emotionen weiter und es wird gar sehr traurig. Große Themen wie Verlust und Trauer werden berührt, aber auch Mut und die Überwindung von Angst. Von Gewicht ist der Rückblick in die Kindheit und die Frage, ob Brüche in dieser frühen Zeit überhaupt gänzlich verarbeitet werden können. Kann man Ängste in den Griff bekommen oder müssen sie sich zwangsläufig "wie ein sich ausbreitender Riss" vergrößern? Könnten die schönen und tragischen Begebenheiten im Leben ein "Nullsummenspiel" ergeben? Und macht es Sinn, im Leben nachträglich über Weichen nachzudenken, wenn man doch so und so nicht zurück gehen und einen anderen Abzweig nehmen kann.
Benedict Wells ist gerade mal einunddreißig Jahre alt und in seinem Roman findet sich überraschend viel Weisheit und Intuition in Problem- und Lebensbewältigung. 

Allerdings wirkt mir das Werk etwas überfrachtet, als hätte Benedict Wells sich sehr viel für seinen Roman vorgenommen und auf keine der großen Lebensfragen und Antworten verzichten wollen.
Und leider bin ich mit dem Schlussakkord nicht ganz glücklich, ich möchte sagen ein Ende, dem ich nicht traue ... es kommt mir zu leichtfüßig daher nach der schweren Kost.

Trotzdem kann ich eine Leseempfehlung aussprechen, denn der Roman hat ansonsten Tiefe und ist sowohl im Aufbau als auch sprachlich eine Freude.

... ein Zitat

"Es gibt Dinge, die ich nicht sagen, sondern nur schreiben konnte. Denn wenn ich redete, dann dachte ich, und wenn ich schrieb, dann fühlte ich. Wir lagen auf meinem Bett. Alva biss in einen Apfel und überflog die Zeilen. Gespannt sah ich zu. Einmal musste sie beim Lesen lachen, und da fühlte ich mich wie auf einer nächtlichen Straße, auf der schlagartig alle Laternen angegangen waren. Irgendwann schlief ich ein. Mitten in der Nacht kam ich kurz zu mir, da las Alva noch immer neben mir, sie schien mitgenommen und sagte, der Text würde ihr sehr nahe gehen."


... das bewegte Herz

Benedict Wells versteht es sehr gut, Gefühle lebendig zu machen. 
Während die Liebe zu Alva mir schon fast zu pathetisch ist (auch wenn Benedict Wells sagt, das Pathetische läge ihm fern), bin ich höchst fasziniert, wie er die Geschwister kommunizieren lässt. Sie suchen mal die Nähe, mal den Abstand, begegnen sich mit Wertschätzung und pflegen einen flammenden Austausch. Die Dialoge haben mich sehr bewegt. 

... die Sprache

Zart und poetisch, dabei fließend und leicht zu lesen. Sehr schöne Bilder.

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