Sonntag, 27. Dezember 2015

"Sehnsucht nach Sibirien" von Per Petterson



"Ich bin dreiundzwanzig, das Leben ist vorbei. Jetzt kommt nur noch der Rest."

Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Eine Geschwisterliebe in einem dänischen Dorf am Meer. Das Mädchen ist die Icherzählerin, vierzehn Jahre alt, ihr Bruder Jesper ist drei Jahre älter. Die beiden haben ein ganz besonders inniges Verhältnis, nehmen Zuflucht zueinander, wenn es in der Familie schwierig wird. Großvater, Mutter und Vater tragen alle ein Problempäckchen mit sich rum, sind wohl herzlich mit den Kindern, aber oft in ihrer Empathie sehr eingeschränkt. Die dänische Landschaft kommt wie ein Idyll rüber, aber es braut sich was zusammen, wie der Leser unschwer erkennt. Der Großvater hängt sich auf, die Mutter flieht in Choräle und das fromme Klavierspiel und die Nazis marschieren in Dänemark ein. Jesper, der bei einer Lokalzeitung arbeitet, macht Stimmung gegen sie und begibt sich somit in Gefahr.
Bruder und Schwester träumen sich weg. Jesper möchte gerne nach Marokko, sie dagegen fantasiert von Sibirien, möchte dort leben, wo die Transsib fährt und es "warmen Tee aus dem Samowar" gibt.
Das Leben trennt die beiden, denn Jesper flüchtet schließlich vor der Verfolgung durch die Nazis und sie vermag nicht ohne ihn zurückzubleiben. Sie reist nach Norwegen, Schweden und durch Dänemark (immer auf der Suche nach Liebe und Glück) und macht sich erst, als sie Nachricht von Jesper (der es tatsächlich nach Marokko geschafft hat) erhält, zurück auf den Weg Richtung Heimat, um dort ihren Bruder wieder zu treffen ...
Was die nächsten Seiten an Unvorhergesehenem bringen, möchte ich hier nicht vorwegnehmen ...

Sie zieht auf Læsø zu einer Freundin, um dort in angenehmer Abgeschiedenheit ihr Kind zur Welt zu bringen. Das Idyll gaukelt mir Glück vor (Schafherde, Holzofen in der Küche, Spaziergänge am Meer, Fischereihafen), aber in ihr ist immer noch großer Schmerz und Bedrückung.
Ich möchte definitiv eine Leseempfehlung aussprechen. Die Melancholie ist nicht dramatisch- aufgesetzt, sondern sie kommt sehr still daher und ist eine wahre Perle in diesem Buch von Per Petterson.

... das bewegte Herz

Der Schlusssatz: "Poker lief am Wasser entlang mit einem Möwenflügel in der Schnauze, und ich war damals so jung, und ich erinnere mich, dass ich dachte: Ich bin dreiundzwanzig, das Leben ist vorbei. Jetzt kommt nur noch der Rest."

... ein Zitat

"Du musst vorausplanen, Schwesterherz, du musst dir im voraus Gedanken machen", aber das tat ich selten. Ich wusste, dass ich einmal aus dieser Stadt wegwollte. ich wusste, dass ich mit der Transsibirischen nach Wladiwostok wollte, aber ich wusste nicht immer, warum ich die Dinge tat, die ich gerade tat.
Ich zog mir die warmen Sachen an und knotete den Schal dicht um den Hals, und zusammen gingen wir die Hauptstraße hinauf und vergaßen, dass wir zum Abendessen zu Hause sein sollten. Ich hielt Jesper an der Hand, auch wenn ich wusste, dass er sich dafür zu groß vorkam ..."

... die Sprache

Eine sehr stille warmherzige Sprache. Schöne Wort- und Landschaftsmalerei.






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