Mittwoch, 9. Dezember 2015

"Der Stift und das Papier" von Hanns-Josef Ortheil


"Dafür belohnt mich das Schreiben mit großer Wachheit. Ich sehe das Leben nicht nur genauer, sondern ich sehe es überhaupt erst."

Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Wer vom Autoren den ersten Teil seiner Biographie "Die Erfindung des Lebens" gelesen hat und zu begeistern war, wird auch in dieses Buch gerne einsteigen. Mir ergeht es so, denn Hanns-Josef Ortheil hat Berührendes zu erzählen. 
Seine Mutter verstummt in Folge eines Schocks, als er etwa drei Jahre ist, was seine Stummheit nach sich zieht. Mit Hilfe des Vaters findet er seine Sprache wieder und an diesem Punkt setzt dieses Buch ein. 
In der Schule ist Hanns-Josef weit zurückgefallen und es droht die Sonderschule. Sein Vater, später auch die Mutter, erteilt ihm Unterricht, schenkt ihm ganz viel Zeit und Einfühlungsvermögen, um ihn in den Vorgang und die Kunst des Schreibens einzuführen. Der eigentliche Lehrer ist gar das Leben selbst: Hanns-Josef beobachtet alles um sich herum und ist hoch motiviert, alles festzuhalten. Sein Vater stellt ihm kleine Aufgaben, schenkt ihm Ideen zur Umsetzung und entfacht so seine Schreiblust. Zunächst gibt es jeden Tag Aufzeichnungen (Chronik genannt), es folgen Gedichte, Wetter- und Naturbeobachtungen, Dialoge, Vokabeln und kleine Geschichten. Hanns-Josef geht völlig im Schreiben auf, empfindet Glück und Zufriedenheit, liebt die tägliche "Schreibschule". 
In der Regelschule holt er tatsächlich auf und kann in der Jahrgangsstufe verbleiben.
Dieses Buch ist vielleicht keine literarische Sensation, aber die Geschichte einer Kindheit, die fasziniert. Begeistert haben mich die Eltern, die an ihren Sohn glauben, ihm ganz viel Liebe, Wissen und Erkenntnis schenken: im Schreiben steckt Magie! So erlebt es der Autor und hat darin seine Passion gefunden.
Heute ist Hanns-Josef Ortheil ein bekannter Schriftsteller und Universitätsdozent in Poetik und kreativem Schreiben. 
Erstaunlich!

... das bewegte Herz

Die Liebe der Eltern zu ihrem Sohn. Des Kindes Glück beim Schreiben.

... ein Zitat

" Als ich das zum zweiten Mal sage, bemerke ich erst, dass ich ein wenig wie Hemingway erzähle. Hemingway sitzt jetzt in meinem Kopf, wir schreiben zu zweit, und ich habe schon ein wenig von ihm gelernt. Ich warte darauf, dass Papa etwas sagt ... Papa räuspert sich wieder, und dann sagt er, dass er darauf vertraut habe, dass ich Hemingway als meinen neuen Lehrer begreife, denn er selbst könne mir nicht mehr viel beibringen. "Hemingway ist die beste Schule, die es gibt!", sagt Papa, und dann schweigt er ... "

...  die Sprache

Sie ist sehr ambitioniert und transportiert Wärme, wenn sie in Hanns-Josefs Seele blicken lässt. Zwischendurch gerät sie schon mal ein wenig in die Auflistung und verliert dann leider an Zauber.

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