Samstag, 14. Mai 2016

"Eine überflüssige Frau" von Rabih Alameddine



Dieser Roman ist in Beirut zu Hause. Hier lebt Aaliya, eine inzwischen 72jährige Frau, die nie über die Stadtgrenzen hinausgekommen ist. Sie hält Rückblick auf ihr Leben, hadert mit ihrem Alter und der Einsamkeit. 
Mit sechzehn Jahren wurde sie von ihren Eltern mit einem älteren Mann verheiratet, aber es kam zur Scheidung, als die Ehe kinderlos blieb. Aaliya findet daraufhin ihr Glück in der Zurückgezogenheit, lebt für sich in einer kleinen Wohnung mit "übervollen Bücherregalen", einem alten Eichenschreibtisch und einem Chenille-Lesesessel. Sie gibt sich dem hin, was sie am liebsten tut: lesen und übersetzen. Einst hat sie es sich zur Lebensaufgabe gemacht, ihre Lieblingsbücher ins Arabische zu übersetzen. Diese Beschäftigung und bis vor wenigen Jahren auch die der Buchhändlerin füllten sie voll aus, schenkten ihr ein Gefühl von Wonne und Behagen. Literatur lag ihr am Herzen und entzückt tauchte sie tief in Werke von Dostojewski, Tolstoi, Nabokov, Marias, Rilke, Sebald und weitere. 
Ihr "Herz schäumt über von wunderschönen Wendungen und Phrasen."

Doch nun im Alter schleicht sich etwas Traurigkeit ein. Sie spürt ihre Isoliertheit und denkt über das Leben nach. Nachts hält sie "Audienz" mit ihren Erinnerungen, findet sich in ihrer Kindheit wieder, sieht die Mutter, die Halbgeschwister, das Beirut, in dem sie aufgewachsen ist und bedauert die Veränderungen in den Kriegsjahren.
Ist sie zur Außenseiterin geworden? Rührt daher das Gefühl, überflüssig zu sein ...?

"Niemand auf der ganzen Welt ist so überflüssig wie ich. Nicht Franz Tunda, Roths Hauptfigur, nein, ich bin diejenige, die keine Arbeit, keine Hoffnung, keinen Ehrgeiz, noch nicht einmal Liebe für sich selbst hat."

Da Aaliya von der Mutter nie sehr viel Zuneigung erfahren hat, zieht sie sich von ihr zurück. Einmal aber begibt sie sich auf den Weg zu ihr und es kommt zu einer sehr berührenden Szene, in der sie der schon schwachen Frau die Füße pflegt. Zu dieser körperlichen Nähe gesellt sich aber nicht die der Herzen. Es ist zuviel passiert. 

"Obwohl ich auch die Figuren eines Romans nur als Aneinanderreihung von Szenen kenne, als Ansammlungen von Sätzen in meinem Kopf, habe ich das Gefühl, sie besser zu kennen als meine Mutter."

Rabih Alameddine versteht es meiner Meinung nach, das Buch sehr schön ausklingen zu lassen, denn Aaliya macht eine Erfahrung, die sie Frauen aus der Nachbarschaft näher bringt. Sie könnte die Möglichkeit am Schopfe greifen ...

"Anfänge sind schwanger mit Möglichkeiten."

Es ist das erste Buch des Jordaniers Rabih Alameddine, das ins Deutsche übersetzt wurde. Ich würde mich über mehr Werke von ihm freuen. Zahlreiche Zitate aus Aaliyas Lieblingsbüchern beweisen, dass er selber sehr belesen ist. 
Ganz still kommt Rabih Alameddine mit dieser Veröffentlichung daher und bringt viel Poesie und schöne Metaphern mit.



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