Montag, 25. Januar 2016

"Small World" von Martin Suter



"Warum muss ich auf meine alten Tage allein sein mit meinen Erinnerungen?"


Konrad Langs Welt verzerrt sich ... mit dreiundsechzig Jahren sorgen erste Anzeichen einer Alzheimererkrankung für eine stark beeinträchtigte Alltagsuntüchtigkeit. Die Industriellenfamilie Koch, deren Fürsorglichkeiten dem Leser ohnehin schon Rätsel aufgeben, nimmt sich seiner mit Vehemenz an. Er wird im Gästehaus der Familie untergebracht, wo es Konrad an nichts fehlen soll. Stets sind Pflegerinnen, Ärzte und Therapeuten an seiner Seite und arbeiten daran, Konrads Zerfall aufzuhalten. Was nach Nächstenliebe klingt, entpuppt sich als Schachzug, denn die Familie Koch hütet ein heikles dunkles Geheimnis, von dem sie hofft, es möge in der Vergangenheit vergessen bleiben und nicht wieder ans Licht kommen. Konrad ist aber leider -zum Entsetzen der Familie- ein typischer Alzheimerpatient: je schlechter sein Kurzzeitgedächtnis, desto häufiger blitzen frühere Erinnerungen auf ...
Ich mag Konrad, der auf manchmal drollige Weise seinen Gedächtnisverlust erfährt. Ein eigentlich ernstes Thema wird hier leicht humorig aufgearbeitet, was Suter mit viel Hintergrundwissen und Einfühlungsvermögen grandios gelingt.
Leider fällt das Buch etwas ab, als es versucht, auch dem Genre des Krimis gerecht zu werden. Ein seltsam anmutender Mordversuch und ein Spannungsbogen, der sich nicht allzu lange hält, da der Leser schon früh eine Ahnung bekommt.

... ein Zitat

"Konrad Lang entwickelte Techniken, sein Problem zu kaschieren. Er skizzierte einen Lageplan des Hauses und der Geschäfte, in denen er normalerweise einkaufte. Er stellte eine Liste zusammen mit Namen, die er oft brauchte und die ihm eigentlich geläufig sein sollten. Er bewahrte in seinem Portemonnaie, seiner Brieftasche und seinem Schlüsseletui ihre gemeinsame Adresse auf. Und für den Fall, dass er sich im weiteren Umkreis verirrte, trug er einen Stadtplan bei sich, mit dessen Hilfe er sich als verirrter Tourist ausgeben konnte. Aber Ende November passierte etwas, mit dem Konrad nicht gerechnet hatte: Er fand nicht mehr aus dem Supermarkt hinaus ..."

... bewegend

Es ist die Figur des Konrads, die bewegt. Seine Hilflosigkeit und seine zunächst hoffnungsvolle Liebe zu Rosemarie, die aber an der Alzheimererkrankung zerbricht.

... die Sprache

Martin Suters Sprache fesselt mich immer wieder, so auch hier. Einfacher verständlicher Stil, eher kurz und knackig, aber doch fließend unterhaltend. Dabei nicht flach und stets gewürzt mit einer Prise trockenen Humors.

In einem Interview äußerte sich Martin Suter zu seinen Recherchen die Alzheimererkrankung betreffend: vier Jahre zuvor war sein betroffener Vater verstorben. Das veranlasste den Autor, alles Wissenswertes zusammenzutragen und bildete die Grundlage für diesen Roman.

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