Montag, 2. März 2015

"Große Liebe" von Navid Kermani

"Das erste Mal hat er mit fünfzehn geliebt und seither nie wieder so groß."



Es bleibt in Erinnerung ...

... ein Zitat

"Seltsam, wie sich die Zärtlichkeit, die er für die Schönste empfand, auf den Schulhof übertrug, der nicht mehr die verhasste Teerwüste zwischen Betonsilos war, sondern jedenfalls in den großen Pausen ein Menschenquirl voll von Stimmen, Bewegungen, Farben. Erstmals achtete er auf die Bäume, deren Frühlingsgrün seinen Zustand versinnbildlichte, fand selbst das Gebüsch hinter der Raucherecke mystisch und stand am Flussufer wie vor einem Quell des Lebens ... während er auf die Schönste wartete: die Vögel, deren Gesang den Straßenlärm vertrieb, die Margeritchen, die fröhlicher als auf jeder Bergwiese zwinkerten, die Sonne, die sich zugleich auf dem Wasser glitzernd spiegelte und innerlich, in der Brust, im Bauch, bis hinab zu den Zehen ihn mit Wärme erfüllte."

... die Story

Navid Kermani geht in seinen Erinnerungen dreißig Jahre zurück und ruft seine damaligen Gefühle auf. Als Fünfzehnjähriger erlebte er seine erste große Liebe und verherrlicht sie als überhaupt die bislang größte in seinem Leben. Auf dem Schulhof seines deutschen Gymnasiums war die Liebe zu der bereits neunzehnjährigen Jutta erwacht, ein Mädchen, das ihm zunächst unerreichbar schien, die ihn aber doch erhörte. 
Erinnert er maßgebend das erlebte Glück oder stehen vielmehr abrupte Zurückweisung und Trennungsschmerz im Gefühlsfokus?
Die Schöne nämlich verschmäht ihn nach nur drei gemeinsamen Nächten, verleugnet ihn, nachdem sie ihn "unter indisch anmutenden Decken" in die Liebe eingeführt hat.
Navid Kermani, in Deutschland geboren, ist iranischer Abstammung, promovierter Orientalist und inzwischen Autor einiger Werke. Seine Liebe gilt der persischen und arabischen Literatur, vor allem ihrer Mystik und Weisheit und er nutzt diese, um seine pubertären Erinnerungen zu beleuchten.
Der erwachsene Kermani findet sich so wieder "im Land seiner Lieblingslektüren". Es fesselt ihn, das Eintauchen in die von ihm sehr geschätzten Schriften, und die kindlichen, oft peinlichen Erfahrungen werden auf diese Weise in etwas Höheres gestellt und so überhaupt erst erwähn- und gestehbar. 

... das bewegte Herz

Die Beziehung von Navid Kermani zu seinem Sohn in der Jetztzeit. Das Herantasten im Versuch Verständnis für ihn aufzubringen und die beängstigende Vermutung, der Junge könnte verliebt sein... der Autor hat es schließlich selber erlebt ... damals 1983.


... die Sprache

Poetisch in der arabisch- persischen Mystik. Eher hölzern, wenn der junge Kermani und die Schöne sich im ersten Liebesakt versuchen. 
Mir gefällt, wie Navid Kermani die damalige Zeit in Wörtern aufleben lässt: Birkenstock, Strickpullover, Latzhose, Räucherstäbchen und die Picassotaube an der Wand. Zeit der Friedensbewegung.
Gehobene Sprache, in Endlossätze gepackt. Langer Atem erforderlich!


Aber es lohnt! Außergewöhnlicher Ansatz, besondere Lektüre!

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