"Winterbienen" von Norbert Scheuer
"Meine lieben Bienen schwärmen im Winterhimmel,
wehen wie schwarze Schneeflocken im Wind."
Es bleibt in Erinnerung ...
... die Story
Norbert Scheuer führt uns ins Jahr 1944. Egidius Arimond ist Imker und bringt in eigens dafür umkonstruierten Bienenkästen Juden von Kall aus an die belgische Grenze und damit in Sicherheit. Von einer Organisation erhält er die Aufträge und Informationen dazu in Büchern versteckt in der dörflichen Leihbibliothek. Das Geld, das Egidius für die Transporte bekommt, benötigt er für den Kauf von Antiepileptika, um seine Anfälle in Schach zu halten. Egidius ist Epileptiker und auf die Medikamente angewiesen.
Früher hat er als Geschichts- und Lateinlehrer unterrichtet hat und auch heute noch interessiert er sich für lateinische Schriften und übersetzt Texte seines Vorfahren Ambrosius Arimond. Letzterer war leidenschaftlicher Bienenzüchter und hat seine Begeisterung in der Familie weitergetragen. Einzig Alfons, Egidius' Bruder, geht ganz andere Wege und wird Bomberpilot. Früher hat Alfons Kampfflugzeuge gemalt und die Bilder hängen noch heute in Egidius' Haus. So erklären sich die Zeichnungen von Norbert Scheuers Sohn Erasmus in diesem Buch und zudem passen sie sehr gut zu Egidius' Tagebuchnotizen, da Egidius nicht nur den Bienenflug, sondern auch den Flug der Bomber über Kall genauestens beobachtet.
... ein Zitat
"Der Lärm der Angriffe scheint den Bienen nichts auszumachen; sie leben in einer anderen, wie es scheint, friedlichen Welt, sie interessiert der Krieg nicht. Von ihren Sammelflügen kehren sie mit weißem Blütenstaub von Disteln, Lilien, Sonnenhut und Kamille bepudert aus den umliegenden Wiesen und Gärten zurück. Sie sammeln so emsig, als wüssten sie, dass ihnen ein sehr kalter Winter bevorsteht."
... was mich bewegt hat
Meine Faszination gilt vor allem Egidius, seiner Beobachtungsgabe und auch immer wieder seinem nach innen gerichtetem Blick. Ich muss ihn einfach mögen, diesen stillen Mann mit seiner Liebe zu Bienen, Büchern und zum Schreiben.
... die Sprache
Die Sprache ist zunächst die eines Tagebuchschreibers. Egidius ist daran gelegen, sein Tun und seine Begegnungen und die dabei gehegten Gefühle festzuhalten. Er geht dabei vor allem auf in Naturbeschreibungen und das Vokabular ist reich an Tönen, Farben, Bewegungen, Stimmungen. Es wird Stille ausgedrückt. Und gar, wenn der Krieg Grausames schickt, bleibt Norbert Scheuers Sprache leise und unaufgeregt.
...ein Fazit
Der Leser erfährt, wie eingespielt es im Bienenstock zugeht, wie ausgeklügelt und friedlich die Gemeinschaft gelebt wird. Diesem Einblick in die Bienenwelt wird im Buch viel Raum gegeben und es ist Egidius, der in Betrachtung und Beschreibung aufgeht und dabei Ruhe findet.
Im Herbst aber kommt es im Bienenstock zur Drohnenschlacht, die Drohnen werden dabei von den Arbeiterinnen angegriffen und verstoßen.
Es liegt nahe, diese Vertreibung in der ethnischen Säuberung durch die Nationalsozialisten gespiegelt zu sehen. Als ich mich frage, ob mir solche Vergleiche überhaupt behagen, lese ich nochmal Ambrosius Worte über "Gleiches und Ungleiches".
Alles kann also nebeneinander betrachtet und in Bezug gesetzt werden. Literatur als Spiel der unendlichen Möglichkeiten.
Ich empfehle die Lektüre dieses Buches. Norbert Scheuer hat mal wieder den kleinen beschaulichen Ort Kall aus der Provinz herausgeschrieben.
Ganz groß: die Schönheit der Natur und ein Imker, der ein sympathischer Eigenbrötler ist, aber doch vielen anderen Menschen ähnlich: Er möchte einfach in etwas aufgehen und in Frieden lieben dürfen. Der Ausdruck, er hätte "Frauengeschichten", trifft es übrigens nicht. Dafür ist mir Egidius zu naiv und anhänglich.