Samstag, 8. September 2018


"Sechs Koffer" von Maxim Biller




"Onkel Dima kommt heute von seiner großen Reise zurück."


Es bleibt in Erinnerung ...

...die Story

Ein großes Geheimnis lastet auf der jüdisch-russischen Familie des heute in Berlin lebenden Autors Maxim Biller. Sein Großvater wurde 1960 am Moskauer Flughafen festgenommen und noch im selben Jahr hingerichtet. Das Urteil lautete auf Schwarzmarkt- und Devisenhandel. Da auch Maxims Onkel Dima in die Geschäfte verwickelt und verhaftet worden war, aber freikam, lag der Verdacht nahe, Dima habe seinen Vater denunziert, um die eigene Haut zu retten. Doch Maxim Biller inszeniert ab diesem Punkt ein interessantes Verwirrspiel.
Alle Familienmitglieder packen irgendwann ihren Koffer und gehen in den Westen. Der Roman wirft in jeden dieser Koffer einen Blick und versucht, dem Verrat auf die Spur zu kommen. Sechs Kapitel, sechs Koffer, sechs Einblicke. Und jedes Mal wird ein anderer beschuldigt, den Großvater verraten zu haben.

Maxim Biller wächst im Laufe des Buches mit; während er im ersten Kapitel noch ein Junge von sechs Jahren ist, begegnet uns am Ende des Buches der Endfünfziger von heute. 

... ein Zitat

"Er drehte sich um, in der nur einen Spalt weit geöffneten Tür, stand ich in meinem neuen, noch viel zu großen, blau gestreiften Pyjama, den mir Onkel Wladimir aus Brasilien geschickt hatte. Ich sah für meine sechs Jahre oft viel zu erwachsen aus, so wie jetzt auch. Ich hatte dieses ernste, dunkle, fast orientalische Gesicht, das sie alle in der Familie hatten- sein Vater, den sie immer auf Jiddisch Tate genannt hatten, aber auch er selbst und seine drei Brüder Dima, Wladimir und Lev."

... was mich bewegt hat

Die Nähe zu seiner Schwester Elena, die ebenfalls ein Buch herausgebracht hat, das sich mit der Familiengeschichte befasst.

... die Sprache

In der Annahme, Maxim Biller erhebe sehr hohen Anspruch an Literatur, hatte ich sprachlich mehr Mondänität erwartet. 
Wir finden hier eine eher einfache klare Sprache. Ohne viel Schnörkel.

... ein Fazit

Lesenswert mit Einschränkung.

Im dritten Kapitel fragt sich der fünfzehnjährige Maxim an die zwanzig Mal, ob der junge Mann, den er in Zürich kennengelernt hat, nun Miloslav oder Jaroslav hieß. Warum? Um herauszustellen, wie unzuverlässig Erinnerungen sein können? 
Eingeräumt, es könnte sich hier um ein Stilmittel handeln, missfallen haben mir diese enervierenden Wiederholungen trotzdem.

Grundsätzlich aber ein gut konzipiertes Buch. Das Thema der mehrfachen Emigration, das vielsprachige Aufwachsen, die Frage nach Wurzeln und Heimat. Maxim Biller lässt den Teenager Maxim die Schullektüre "Flüchtlingsgespräche" von Brecht lesen. Das ist gut gemacht, da sich die Problematik "Auswanderung" in der Lektüre widerspiegelt.
Ein Geheimnis wird umkreist, das geschieht zugegebenermaßen sehr literarisch, spannend und unterhaltsam.
Auch wie der Autor mit der Erzählperspektive spielt, gefällt mir sehr gut. Es gibt sowohl die Sicht des Icherzählers, als auch die eines auktorialen Erzählers.
Der Autor hat es mit seinem Roman auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2018 geschafft. Ich denke, dass wir ihn auch auf der Shortlist finden werden.

Ein unsympathischer, an skandalöse Grenzen gehender Literaturkritiker, aber nach meiner Einschätzung kein schlechter Autor. Beurteilen kann ich nur dieses Werk von ihm, denn weitere habe ich nicht gelesen.


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