Sonntag, 17. September 2017

"Magellan" von Stefan Zweig




"Nur eine Tat ist noch übriggeblieben ... auf ein und demselben Schiff den ganzen Erdball zu umrunden ..."


Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Stefan Zweig erzählt hier nicht nur vom Wagnis der ersten Weltumseglung, sondern er geht weit zurück und recherchiert die Biographie Magellans von Jugendjahren an. Wie entwickelte sich dessen verwegene Lebensidee, die Fahrt ins Ungewisse zu wagen und die Weststraße nach Indien zu suchen? Als erstem Seefahrer überhaupt gelingt ihm die gefahrvolle Odyssee einmal um die ganze Erde. Im Jahre 1519 bricht er mit fünf Kuttern von Sevilla aus auf. Zuvor hat er die Schiffe wohldurchdacht ausgerüstet. Schwierig ist es vor allem, den Proviant richtig zu berechnen, denn die Länge der Reise ist ungewiss. 
Mit Hilfe einer (fehlerhaften) Karte sucht Magellan den "paso", die Durchfahrt vom Atlantischen zum Pazifischen Ozean. Zunächst erfolgt die Suche an Südamerikas Küste viel zu weit nördlich und die Flotte muss in "eisigen Zonen" überwintern und "grausamste Orkane" ertragen, bevor sie im Frühjahr dann erst die schmale Seestraße findet.
Schiffbruch, Hunger, Meuterei und Auseinandersetzungen mit Eingeborenen führen dazu, dass von den 237 Seeleuten nach drei Jahren nur achtzehn Kameraden auf einem der Schiffe heimkehren. Einzig sie umrunden die Welt (ein zweites Schiff bricht vorher ab) und unumstößlich wird zur Gewissheit: die Welt ist eine Kugel.  
Magellan gehört leider nicht zu den Überlebenden; es bleibt dem Verstorbenen einzig der Ruhm, zum Namensgeber der Magellanstraße zu werden.
Stefan Zweig aber verneigt sich vor diesem faszinierenden Mann, der ein Ziel verfolgt und beharrlich Kurs hält, und setzt ihm hier ein Denkmal.

... ein Zitat

"Immer gibt ein Mensch nur dann das Höchste, wenn er ein Beispiel gibt, und wenn eine, so hat diese eine fast vergessene Tat Magellans für alle Zeiten erwiesen, dass eine Idee, wenn vom Genius beschwingt, wenn von Leidenschaft entschlossen vorwärtsgetragen, sich stärker erweist als alle Elemente der Natur, dass immer wieder ein einziger Mensch mit seinem kleinen vergänglichen Leben, was hunderten Geschlechtern bloßer Wunschtraum gewesen, zu einer Wirklichkeit und unvergänglichen Wahrheit umzuschaffen vermag,"

... was mich bewegt hat

Stefan Zweigs unverhohlene Bewunderung für seinen Helden auf See. Und die Einsamkeit Magellans (obwohl unter Vielen), sein Wagemut und sein unbändiger Wille und für die anderen nicht fühlbar seine nagenden Ängste. Zweig lässt tief in seine Seele blicken.

... die Sprache

Wortgewaltig, lebendig und ausdrucksstark. Ein sprachlicher Hochgenuss.

... ein Fazit

Wer sich in Büchern gerne auf das Meer begibt, wer sich ein wenig für Geschichte interessiert und wer es sprachlich gerne hochwertig hat, der sollte zu diesem Buch greifen. 
Langeweile ausgeschlossen. Ich fand es sehr spannend!




Freitag, 8. September 2017


"Zu Fuß durch ein nervöses Land" 
von Jürgen Wiebicke



"Aber immer auf der Suche nach der nächsten zufälligen Begegnung, 
die mir hilft, etwas Neues zu begreifen."


Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Auf der Suche nach gesellschaftlichem Zusammenhalt hat sich Jürgen Wiebicke im Sommer 2015 zu Fuß auf den Weg von Köln nach Ostwestfalen-Lippe gemacht. Es ist das Jahr der großen Flüchtlingsströme und der Journalist, Philosoph und Schriftsteller geht der Nervosität nach, die Deutschland zu spalten droht und sucht nach Zeichen von Mitmenschlichkeit und Schulterschluss. Sein Ziel sind bewusst Orte, die zu spiegeln vermögen, wie es um unser Deutschland steht. Seien es psychiatrische Klinik, Flüchtlingsheim, Schlachthof oder Jugendhilfezentrum, überall dort taucht Jürgen Wiebicke ein in Gespräche, die ihm neue Aspekte eröffnen und Denkanstöße geben. Er ist neugierig und offen und stellt die richtigen Fragen. Termine, die er im Vorfeld vereinbart hat, machen nur einen kleinen Teil aus. Es ist eher die Zufallsbegegnung auf der Straße, die er sucht und findet: Bauer, Flaschensammler, Asylbewerber, Kleingärtner, Binnenschiffer, Jäger und Angler. Meist hat er Glück und trifft auf Menschen "in Schwatzlaune", eher selten wird er auf Abstand gehalten.
Mit viel Betroffenheit aber auch Humor erzählt er von denen, die ihm was zu sagen hatten. 

... ein Zitat

"Ich habe Deutschlandkarten studiert, auf denen die Fernwanderwege verzeichnet sind. Aber die sind nicht für Leute wie mich gemacht. Ich suche nicht nach dem spektakulären Panoramablick, nach den Idyllen der deutschen Mittelgebirge, meine Wege sollen auch dorthin führen, wo es schäbig ist. Ich glaube nämlich, dass man eine Gesellschaft am besten von ihren Rändern her verstehen kann ... Als Wanderer setze ich mich aus, bin mit dieser Welt leiblich verbunden, sehe ich Dinge, für die ich sonst keine Aufmerksamkeit gehabt hätte. Beim Gehen gerate ich in einen anderen Zustand, das Denken verflüssigt sich."

... was mich bewegt hat

Das Engagement Jürgen Wiebickes, sein "Wunsch, von der Straße zu lernen", den einfachen Menschen zuzuhören, um sich ein Bild von der heutigen Gesellschaft zu machen.
"Ich wollte mir mein eigenes Land erklären lassen", sagt er so schön. Dafür macht er sich zu Fuß auf den Weg, setzt sich Strapazen aus und verströmt dabei einen beeindruckenden Optimismus. Keine Seite, auf der er nicht vom Glück der Bewegung und der Begegnung spräche.

... die Sprache

Sprachlich sehr fesselnd, denn es paart sich hier sein Vermögen zu schreiben und die Tatsache, dass er wirklich was zu erzählen hat. Wissenswertes lebendig in Sprache gepackt.

... ein Fazit

Jürgen Wiebicke ist ein Autor seiner Zeit, benennt, wo es  brennt und wo die Politik ansetzen sollte. Sein Buch ist hochaktuell, da es die Flüchtlingsproblematik ins Zentrum rückt. 2016 erschien das Werk und bereits dieses Jahr (2017) gibt es weiteres Buch von ihm. Darin ermutigt er uns, vor die Tür zu gehen und uns zu engagieren. Wir können auf diesem Wege im Kleinen politisch wirksam werden und die Demokratie stützen, bzw. "retten", so wie Jürgen Wiebicke sagt.
Auf seiner Lesereise macht er auch in Dormagen halt. Ich werde mir diesen Autoren nicht entgehen lassen.

Sonntag, 3. September 2017

"Was man von hier aus sehen kann" 
von Mariana Leky



" ... weil sonst das Leben falsch abgebogen wäre."

Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Im Westerwald geschieht Mystisches: immer, wenn die alte Selma von einem Okapi träumt, schleicht sich der Tod ins Leben und trifft einen ihr nahe stehenden Menschen. 
Aber kann jemand wirklich "an Selmas Traum sterben"? Ja, davon ist man überzeugt.
So mancher Dorfbewohner hütet in sich eine "verschnürte Wahrheit" und meint, er müsse sie nun offenbaren, schnell noch, bevor der Tod zuschlägt. Als es tatsächlich passiert, trifft es alle schwer ... Vor allem Luise, die zehnjährige Enkelin von Selma und gleichzeitig die Icherzählerin dieses Romans.
Waren alle vorher schon komisch, legt man jetzt noch einen Stiefel zu. Luises Vater schnürt letztere und geht auf Weltreise, der Optiker hört verstärkt innere Stimmen und Elsbeth wird noch abergläubischer. Luises Beziehung zu Selma gestaltet sich immer inniger, allein ihre Ausbildung zur Buchhändlerin in der Kreisstadt bringt etwas Abstand. Mit zweiundzwanzig Jahren gibt es einen weiteren Einschnitt für Luise, als würde sich jemand anschicken, ihr Leben umzudrehen ... 

Dieser Jemand heißt Frederik und ist zu Besuch im Westerwald; eigentlich lebt er als Mönch in Japan. Er wirkt buddhistisch abgeklärt und geht zurück nach Japan, nachdem er und Luise sich näher gekommen sind. Jahre verstreichen, in denen Frederik und Luise sich schreiben und manchmal telefonieren. Über ihre unglückliche Liebe spannen sich große Themen auf: das Vergehen von Zeit, die Frage, was "wirkliches Leben" ist, soll man bleiben oder reisen und was überhaupt hat man in der Hand, was ist verhandel- und verwandelbar?
Selma liegt schließlich im Sterben und ein letztes Mal kommt das Okapi ins Spiel ... sowie einiges in Bewegung.

... ein Zitat

"Selmas Traum aber schuf Tatsachen. War ihr im Traum ein Okapi erschienen, erschien im Leben der Tod; und alle taten, als würde er wirklich erst jetzt erscheinen, als käme er überraschend angeschlackert, als sei er nicht schon von Anfang an mit von der Partie ... Die Leute im Dorf waren beunruhigt, man sah es ihnen an ... Den ganzen Tag beargwöhnten sie ihr Leben und, soweit möglich, das aller anderen."

... was mich bewegt hat

Sehr vieles hat mich bewegt. Selma und die anderen, die Metaphern und die Botschaften und eine Sprache, wie ich sie so noch nicht gelesen habe. 

... die Sprache

Sehr, sehr bildhaft und sie bietet immer einen Anlass zum Schmunzeln. Intelligente Leichtigkeit trifft auf große Themen. Gelungener Sprachwitz. Nie überzogen.

... ein Fazit

Man verpasst was, wenn man diese Erzählerin nicht kennenlernt, da sie sprachlich wirklich einzigartig ist. Was die Liebesgeschichte betrifft, ist diese nicht ganz frei von Kitsch (Mädchen liebt Mönch), aber die Figuren, der Einfallsreichtum der Autorin und ihre Sprache lassen den Kitsch vergessen.