Samstag, 22. April 2017

"Sie kam aus Mariupol" von Natascha Wodin



"Wenn du gesehen hättest, was ich gesehen habe ..."

Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Natascha Wodin kommt 1945 als Tochter sowjetischer Zwangsarbeiter in einem Lager für Displaced Persons in Fürth zur Welt. Als Natascha gerade zehn Jahre alt ist, bringt ihre labile Mutter Jewgenia sich um.
Über fünfzig Jahre später geht Natascha Wodin im Internet auf Spurensuche nach ihrer in Mariupol aufgewachsenen Mutter. In einer alten Wohnung tauchen im Zuge einer Entrümpelungsaktion die Memoiren ihrer Schwester Lidia auf, Notizen, aus denen sich ein kleiner Teil der "Lebenswelt" Jewgenias zusammensetzen lässt. Diese wird erst neun Jahre nach Lidia geboren und erfährt in ihren jungen Jahren in der Ukraine alle denkbaren Erschwernisse: Bürgerkrieg, Hungersnöte, stalinistische Säuberung, Krieg und Enteignung. Im Rahmen der Verschleppung von Ostarbeitern kommt Jewgenia 1942 nach Deutschland, wo sie zusammen mit Nataschas Vater in einem Montagewerk für Kriegsflugzeuge arbeitet. Nach den Zwangsarbeitseinsätzen bleiben die Eltern in Deutschland, sind jedoch fortan Außenseiter. Natascha und ihre Schwester wachsen in Bayern auf, erleben die Mutter als schwach und unglücklich, bis diese sich schließlich in "stiller Hoffnungslosigkeit" aus dem Leben schleicht.

... ein Zitat

"Ich hatte inzwischen angefangen, an dem geplanten Buch über meine Mutter zu arbeiten. Ich schrieb mit einer Hingabe wie noch nie, mit einem Glücksgefühl, das dem Stoff nicht angemessen war, während mir gleichzeitig schien, als müsste ich mich durch einen Berg graben, dessen Ende ich niemals erreichen konnte."

... was mich bewegt hat

Die kämpferische kühne Lidia, eine bemerkenswerte Frau!
Das nicht abreißende Unglück im Leben der Mutter und schließlich ihr Straucheln. 
Bewegend ist auch alleine schon die Unermüdlichkeit und Hingabe der Autorin.

... die Sprache

Sie ist sehr vielfältig, berauschend schön, wenn Natascha Wodin zum Beispiel von ihrer Wohnung aus auf den Schaalsee blickt und die Natur einfängt, streckenweise auch dokumentarisch, was bei der Fülle der gesammelten Informationen nicht ausbleibt.

... ein Fazit

Gebannt verfolgte ich Natascha Wodins Bemühen, die Mutter aus den "inneren Dunkelkammern" ans Licht zu ziehen. 
Im dritten Teil verliert sie sich meines Erachtens jedoch in vielen Mutmaßungen. Ihr Wunsch nach Lückenlosigkeit ist wohl immens groß. 
Insgesamt grandios. Auf jeden Fall lesenswert.

Die Autorin erhielt dafür 2017 den "Preis der Leipziger Buchmesse".


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