Mittwoch, 9. September 2015

"Altes Land" von Dörte Hansen


                       "Nicht gedeihen, nicht blühen, nur bleiben."


Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Im Alten Land in einem in die Jahre gekommenen Gutshaus mit reetgedecktem Dach, Hof und Garten suchen zwei Frauen neuen Halt und Geborgenheit. Das Haus bietet das zunächst nur bedingt, denn ihm geht es ähnlich wie den Frauen: es hat gelitten... Durch die maroden Fenster pfeift der Wind und die Dachbalken knarzen vernehmlich. An einem der Balken hat sich außerdem vor Jahren Ida das Leben genommen und später ist auch Karl recht tragisch auf dem Anwesen gestorben ... Das Haus ist seitdem wie von Geistern besetzt. Gemeinsam versuchen Vera und Anne, sie auszutreiben.Vor allem Anne rettet sich in die Tatkraft und fängt an, das Haus zu renovieren. Sie und ihre Tante Vera kommen langsam zur Ruhe und auch das Haus wirkt gefestigter und und schenkt dank der neuen Fenster endlich Wärme.
Neben Vera und Anne lernen wir weitere Frauen der Familie kennen und erfahren, dass ihnen allen eine Vertreibung zugesetzt hat. Hildegard und ihre Tochter sind als Flüchtlinge aus Preußen ins Alte Land gekommen und Ida, die Gutsbesitzerin, fühlte sich vertrieben, als ihr die fordernden Flüchtlinge einfach ins Haus gesetzt wurden. Anne ist gleich zweimal verstoßen worden, zum einen aus dem Elternhaus, als die Mutter den Bruder vorzog und schließlich aus der ehelichen Wohnung, als der Platz an der Seite ihres Mannes von einer anderen Frau eingenommen wurde.
Man möchte meinen, das Buch sei etwas überfrachtet mit der Thematik. Aber das ist nicht der Fall. Dörte Hansen gibt jeder Frau ihren Raum und lässt uns tief in ihre Seelen schauen. Viele bewegende Schicksale sind hier wunderbar zu einem Roman komponiert.

So viele Klischees und zum Schluss noch (fast) ein Happy End? Kann der Leser das ertragen?
Dörte Hansen lässt tatsächlich viele Klischees aufmarschieren, aber die meisten werden vom Hofe gejagt.
So bin ich versöhnt mit dieser Lektüre und möchte sie jeder Frau ans Herz legen.
Vielleicht hätten es ein paar weniger Nebenfiguren und -schauplätze getan, aber das wäre dann auch schon alles an Kritik.

... das bewegte Herz

Das Gefühl des Vertriebenseins. Vor allem Veras Erinnerungen an die Flucht, der Bruder am Straßenrand ...Und Karl, der nachts vor den Russen flieht ... bis Vera ihn erlöst.

... ein Zitat

"Struppige Wolken, fellgrau und dicht, schoben über den Himmel, als hätte man die Schafe hochgeblasen und steigen lassen.
Die Wolken zogen ostwärts, als hätten sie Termine.
Über der Elbinsel kreisten die Möwen, Brutplätze besichtigen, Partner suchen, Rivalen weghacken, Nester bauen, alles auf Kommando, alles lief nach Plan ...
Selbst Veras verkrüppelter Kirschbaum kapierte noch, dass er jetzt Blüten treiben sollte.
Alles war durchgeprobt bis in die Nebenrollen. Niemand verpasste einen Einsatz, keiner blieb stecken, alle hatten ihren Part gelernt.
Nur Anne Hove stand auf einer Kirschenleiter und konnte nicht den Text ...
Anne fragte sich, wie lange man hierbleiben musste, um nicht mehr fremd zu sein.

... die Sprache

Sie ist versehen mit wunderschönen lebendigen Bildern, die treffender nicht sein könnten.
"Die Natur kam langsam wieder zu sich, wie ein Patient aus einem tiefen Koma ..."
"... aus dem Lächeln ragte der Ehrgeiz wie ein kalter Fuß aus einer viel zu kurzen Decke."
"... das Gesicht verriegeln, kein Wort sagen, lieber die Dinge schreien lassen."
Es gelingen der Autorin aber auch viele humorvolle Bilder.

Ihre Sprache ist eigentlich einfach, doch in ihrer Schlichtheit steckt Einzigartigkeit und eine eigene Poesie. 
Dörte Hansen kann sehr gut formulieren, sie findet stets die richtigen Worte für Situationen und Gefühle. 
"Alles, was sie taten, taten sie einander an."



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