Sonntag, 9. August 2015

"Brief an den Vater" von Franz Kafka


                                      "Du warst so riesenhaft in jeder Hinsicht ..."


"Brief an den Vater" gilt als Schlüssel zu Kafkas Gesamtwerk. Der übermächtige Vater drängt den Sohn in eine Position der Schwäche und Furcht und entzieht ihm die Möglichkeit zur Selbstbehauptung. Da Kafka "dieser Wirkung erlegen ist", fühlt er sich umso ängstlicher und nichtiger, je mehr der Vater Stärke und Unangreifbarkeit demonstriert. Kafka, das sensible furchtsame Kind, wird dem starken Vater nicht gerecht, der, so mutmaßt Kafka, lieber "einen kräftigen, mutigen Jungen" gehabt hätte.

Zitat:
"Ich hatte vor dir das Selbstvertrauen verloren, dafür ein grenzenloses Schuldbewusstsein eingetauscht. (In Erinnerung an diese Grenzenlosigkeit schrieb ich von jemandem einmal richtig: "Er fürchtet, die Scham werde ihn noch überleben.") Ich konnte mich nicht plötzlich verwandeln, wenn ich mit anderen Menschen zusammenkam, ich kam vielmehr ihnen gegenüber noch in tieferes Schuldbewusstsein ..."

Eine erleuchtende Leseerfahrung ist es, sich neben dem "Brief an den Vater" auch "Das Urteil", "In der Strafkolonie" und vor allem "Der Prozess" vorzunehmen. Schuld und Strafe stehen im Zentrum Kafkas Schaffens und immer ist es nicht alleine das Faktum, das sticht und zählt, sondern vordergründig die Empfindung und Wahrnehmung, die den "Angeklagten" hinnehmend und fatal reagieren lässt. Eine Schuld wird zugewiesen und der Umgang damit, eine gewisse Entrücktheit und Resignation, stößt erst den todbringenden "Prozess" an.
In seinem zuletzt genannten großen Werk kann Josef K. für sich "nicht die geringste Schuld auffinden" und setzt sich doch in der Meinung "wo gäbe es da einen Irrtum" den Anschuldigungen nicht zur Wehr. 
Psychologisch meisterlich und spannend. Dabei sehr bildhaft. 

Am Ende schließt sich der Kreis, wenn Josef K., der Gerichtete, sagt:

"... es war, als sollte die Scham ihn überleben."

Das ist Kafka! Genial! Lesen!

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