Sonntag, 24. Mai 2015


"Tobys Zimmer" von Pat Barker



"Irgendwann musste man loslassen und sich mit einer Annäherung an die Wahrheit zufriedengeben ..."

                                                                                    
Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Im Mittelpunkt dieser Geschichte stehen die Kunststudentin Elinor Brooke und ihr Bruder Toby. Der Titel des Buches ist toll gewählt, denn die Handlung beginnt gewissermaßen in Tobys Zimmer und endet dort auch dort. Die Geschwister sind einander sehr zugeneigt und verbringen dort eine Nacht zusammen, was zum Teil spätere Entwicklungen erklärt und aus diesem Grunde wesentlich ist.
Toby geht im Ersten Weltkrieg an die Front und 1917 erhält die Familie die Nachricht, er sei vermisst und vermutlich gefallen. Elinor trauert schwer und findet zunächst allein Trost in der Malerei. Als sie Henry Tonks, Kunstprofessor an der Slade School of Fine Art, kennenlernt, arbeitet sie mit ihm an einer Dokumentation über im Krieg verstümmelte Gesichter. Das zeichnerische Portraitieren leistet Vorarbeit für die plastische Chirurgie. Auch Kit Neville wird schlimm entstellt eingeliefert und von ihm und einem weiteren gemeinsamen Freund erhofft Elinor sich Aufschlüsse darüber, wie ihr geliebter Bruder zu Tode gekommen ist. Kit war bis zuletzt gemeinsam mit Toby an der Front. So wird ein enormer Spannungsbogen aufgebaut, der mich sehr an das Buch gefesselt hat.
Das Buch lebt aber nicht alleine von der Spannung. Vielmehr geht es darum, was der Krieg mit den Menschen macht. Pat Barker zeigt sichtbare Verletzungen auf, aber auch die Blessuren im Menschen, die noch schwerer wiegen. 
Den britischen Arzt und Maler Henry Tonks hat es wirklich gegeben. Er hat tatsächlich für die Gesichtschirurgie medizinische Illustrationen angefertigt.

... das bewegte Herz

Emphase und Ergriffenheit in der Malerei, die Liebe zur Landschaftsdarstellung, die einnehmende Sprache Pat Barkers.
Kit und Paul. Der Krieg, der immer noch in ihnen wütet.

... ein Zitat

"Ihre erste Reaktion auf die Nachricht war ein Euphorieschub gewesen; auf der Stelle hatte es sie in den Fingern gejuckt, Pinsel und Farbe zu ergreifen. Trauer war für die Toten bestimmt, und Toby konnte nicht tot sein, solange sie lebte und einen Pinsel halten konnte ...
"Du hast doch mal gesagt, sollte Toby sterben, würdest du hierher zurückkommen und die Landschaft malen, in der er aufgewachsen ist. Du sagtest, du wolltest malen, was ihn geprägt, nicht, was ihn zerstört hat."
Sie lächelte. "Genau das tue ich."

... die Sprache

Poetisch und reich an Bildern ... "Bilder der vergangenen Nacht hingen wie Fledermäuse in seinem Schädel."



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